Cees Nooteboom – „Nachts kommen die Füchse“

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„Abwesende und Tote, das ist meine Gesellschaft“ – schreibt Cees Nooteboom in seiner wunderbaren Geschichte „Paula“.

Er, der so viele Jahre rastlos Orte dieser Erde bereiste, hält mit diesem Erzählband inne. Er befindet sich im Zwischenreich der noch Lebenden und bald Toten. Im Leben fand er die Antwort auf die drängenden Fragen nicht. Vielleicht haben die Toten eine Antwort? „Wie kommt es (…), daß das Leben in dem Maße, wie man älter wird, immer mehr einer Fiktion gleicht?“

Im inneren Dialog mit der vor vielen Jahren gestorbenen geliebten Paula erinnert er sich an deren Worte nach einem gemeinsamen Kinobesuch: „Alles ist immer eine Kopie von etwas anderem, es lohnt sich kaum zu leben, wenn ein anderer einen zweistündigen Film daraus machen kann oder ein Buch, das man in zwei Tagen gelesen hat.“

Und so geraten die Geschichten der anderen auch zur eigenen. „Jeder ist sein eigener Roman, und dann auch noch viel zu lang.“

In „Gondeln“ fährt der Autor noch einmal nach Venedig. Die Erinnerung an eine Frau treibt ihn an die Stätten der einstigen Begegnung. Man trifft sich wieder. Und dann ist die Geschichte endgültig beendet.

„Gewitter“ erzählt von der Furcht vor der Dunkelheit, die mehr ist als die Abwesenheit des Sonnenlichts. Ein Gewitter zieht auf. Man sitzt auf einer Terrasse. „Zwei Frauen in Regenmänteln etwas weiter weg, ein einsamer schwarzer Mann in gelbem Hemd, der zu lesen versucht, ein Ehepaar am Tisch neben ihnen. Genug für einen Film.“ Am Ende ein Blitz, ein Toter.

„Heinz“ ist die (längste) Geschichte eines Verzweifelten, der sich systematisch zu Tode säuft: „Ich hatte jetzt gesehen, wer er war, eine daredevil, der vor nichts zurückschreckte, als suchte er den kürzesten Weg, um jener anderen Todesfahrt zu entkommen, die er für sich ausgedacht hatte.“ Doch auch Heinz entkommt dem Tod nicht.

„Ende September“, eine Zeit im Jahr mit dem vermutlich schönsten Licht, aber auch der Ahnung vom Ende des Sommers und der Vergänglichkeit. Die Frau des verstorbenen Vizeadmirals lebt nun allein in dessen Haus in Spanien. Doch „Spanien ist kein Winterland“, man hält es nur aus, wenn man einen Schluck nimmt: „Das war der schönste Augenblick des Tages, wenn die Welt kippte.“ Sie trägt die Kleider ihrer verstorbenen Freundin, der Frau des Vizeadmirals. „Stay the course, das hatte der Vizeadmiral immer gesagt.“

„Plötzlich war er tot.“ – so beginnt die Geschichte „Der letzte Nachmittag“. Diese Mal sind wir auf Sardinien. Wieder ist es September. Sie trinkt einen Gin Tonic „Um mich gegen den Abend zu wappnen“. Der Mann, mit dem sie hier jahrelang gelebt hatte, ist vor einigen Jahren gestorben. Sie erinnert sich. Es entsteht ein Dialog mit dem Verstorbenen. „Rätselhaft war ihr das gewesen, ein Mann, der Angst vor dem Abend hatte, weil ihm angst war vor der Nacht.“ Mehr Worte braucht es nicht, the scene is set.

Und dann kommen diese beiden traumhaften Geschichten von „Paula“. In „Paula“ erzählt uns Nooteboom die Geschichte von Paula. In „Paula II“ spricht die längst Verstorbene mit ihm „Du hast mich gerufen, ich antworte. Ob Du es hörst, weiß ich nicht.“ Der Autor lernt bei der Erinnerungsarbeit viel „Zunächst einmal, dass keine der Vorstellungen zutrifft, die ich mir je vom Tod gemacht habe.“

Zum Schluss dann „Der entfernteste Punkt“ – das ist Punta Nati. Das Meer braust „Ich schreie gegen das Schreien an, kreische greller als hundert Möwen, schrei den Toten zu, die dort ertrunken sind, rufe sie, sie rufen zurück, ich weiß, daß ich am liebsten in der Tiefe versinken würde.“

Das Geheimnis des Lebens, das ist es, was alle geistreichen Menschen zum Ende ihres Lebens gerne noch gelüftet hätten. Doch weil das ganze Leben eine einzige Suche nach dem Sinn ist und bisher noch kein Sterblicher je eine eindeutige und zufriedenstellende Antwort auf diese Frage gab, bleibt auch unsere Existenz ein Geheimnis.

Und so gerät diese Sammlung von acht Kurzgeschichten zum vermutlich Besten und Klarsten, was Cees Nooteboom je zu Papier brachte – ohne mit dieser Wertung seine vielen anderen Werke schmälern zu wollen. Es ist die Quintessenz, von der wir Leser fürchten müssen, dass es sich um eine Art Fazit seines Lebens handeln könnte. Es ist schwer vorstellbar, was Nooteboom nach solch einem Werk noch schreiben könnte – doch wissen können wir es nicht.

„Ich war glücklich, aber es gibt niemanden, dem ich davon erzählen kann.“

Fazit: Es gibt nur wenige Bücher, die ich zwei Mal lese – diese Geschichten werde ich immer wieder lesen, denn sie handeln von den letzten Dingen. Denn nachts kommen die Füchse – es ist die Stunde des Wolfs, die alle Menschen fürchten.

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