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Das 18. und 19. Jahrhundert waren keinesfalls „gemütliche“ Zeiten, wie es in der Nachschau zum Beispiel der Romantik (wir erinnern an dieser Stelle auch an Rüdiger Safranskis Werke „Freundschaft“ und „Romantik“) erscheinen mag.
Denn auch das Künstlerleben, wie hier das des Schriftstellers und Dichters war so gar nicht beschaulich. Auch heute noch unterliegt der Künstler in der öffentlichen Meinung – manchmal wohl auch selber – dem Irrtum des durch und durch Schöngeistigen.
Schon zu Goethes Zeiten war die Kunst ganz offenbar ein hartes Brot, der Futterneid groß, Kritik und Rezensenten gnadenlos. Mit Händen und Klauen mussten Goethe und sein späterer Freund Schiller sowie ihre Weggefährten ihre „Horen“, „Xenien“ usw. verteidigen -und scheuten selber nicht vor gnadenloser Häme über ihre mitschreibenden Kollegen zurück.
Das alles kann man in diesem wunderschönen Buch von Eckhart Kleßmann ausführlich nachlesen. Gleichzeitig hat der Leser Einblick in ein Sittengemälde der Zeit in Weimar, was erlaubt war und was nicht. Es scheint, dass lediglich die Veröffentlichung „unschicklichen Tuns“ getadelt wurde, weniger die Tat an sich, und deshalb wurde Goethe mit seinen „Elegien“ nicht recht glücklich, wenn er sie auch um zwei Elegien entschärfte (die Nummer 2 und 16 wurden erst 1914 veröffentlicht) – denn immerhin lautete der Arbeitstitel noch „Erotica Romana“.
Goethe und Schillers Repliken auf die geharnischten Kritiken der Kollegenzunft erinnern denn in ihrer Maliziosität und Häme denn auch durchaus an jene des Gespanns Marx/Engels, die einige Jahrzehnte später „die breimäuligen Faselhänse der deutschen Vulgärökonomie“ schalten – aber damit erschöpft sich auch der Vergleich.
Interessant auch zu lesen, wie sehr ein Goethe mit dem Gelderwerb beschäftigt war. Keineswegs war der Titel des „Geheimen Rats“ ein ohne Gegenleistung vergebenes Amt. Dass er dies durchaus auch als Mittel einsetzte, steht auf einem anderen Blatt.
Und dann die Begegnung mit Napoleon. Ausführlich beleuchtet Kleßmann dieses historisch interessante Kapitel. Ohne solche rezeptionsästhetischen Hintergründe würde das Werk Goethens ein wohl sehr einseitiges und damit ungenaues Bild dieses herausragenden und doch letztlich so menschlich „normalen“ Dichters und Denkers ergeben – inklusiv seiner Ansichten zu Deutschland, das als Nation ja noch nicht existierte. Dass der oft als „Fürstenknecht“ gescholtene Dichter die anbrechenden demokratischen Bewegungen seiner Zeit verabscheute, ist bekannt, möglicherweise ebenso aus Standesdünkel wie auch seiner Angst vor Unordnung. Gleichzeitig war er durchaus überzeugter Europäer und Kosmopolit.
Wir erleben einen eitlen, bornierten und narzisstischen Dichter, der neben sich nur Schiller gelten lassen wollte und den seine Kritiker einen Modeschriftsteller“ nannten, kurzum, eine an Widersprüchen reiche Persönlichkeit. „Gemüt hat jedermann, Naturell mehrere; der Geist ist selten, die Kunst ist schwer.“
Der überaus mitteilungsbegierige Goethe, lebte er in der heutigen Zeit, wäre vermutlich ein eifriger Blogger gewesen, sind doch die Zeugnisse seiner Korrespondenz überbordend, die Vielzahl seiner verlegten Hefte und Periodika (Propyläen, Ueber Kunst und Althertum, Horen, Xenien usw.), die ihm als Plattform zur Erörterung vieler Themen am Herzen lagen, beeindruckend.
„Die lieben Deutschen“ waren Goethe keinesfalls lieb. Für ihn waren sie mäkelnde Kleingeister, die „schußfertig auf die Mängel und Gebrechen“ anderer lauern.
Eckart Kleßmann holt Goethe mit diesem Werk vom Sockel des Unvergleichlichen – auf den dieser sich nur zu gerne auch selber stellte – und stets Erhabenen. Er präsentiert uns einen herausragenden Menschen in seiner Zeit.
Die Reihe „Die andere Bibliothek“ des Eichborn Verlags, herausgegeben von Klaus Harpprecht und Michael Naumann, verdient an dieser Stelle ebenfalls ein großes Lob. Die limitierten und nummerierten Auflagen sind optisch und haptisch ein Kleinod für jeden bibliophilen Sammler.