Georg Klein – „Libidissi“

Rating: ★★½☆☆ 

Die Tatsache, dass Zeitungen und deren Rezensenten ein Buch hoch loben, bedeutet leider noch lange nicht, dass es auch lesbar ist. MRR und seine Mitstreiter haben seinerzeit für viele Beispiele und ungelesenen Regalmeter gesorgt.

„Kafkaesk“ ist ein Gattungsbegriff geworden, der ein unheimliches Gefühl dunkler Ungewissheit, einer rätselhaften unkonkreten Bedrohung, eines Ausgeliefertseins gegenüber schemenhaften dunklen Mächten bezeichnet. Nicht jedermann kann sich an solcher Lektüre delektieren.

Georg Klein hat seinen Debütroman in siebenundzwanzig kurze Kapitel mit rätselhaften Überschriften gegliedert. Jedem Kapitel ist eine Vignette mit einem Ausschnitt aus dem von Anke Feuchtenberger gezeichneten Stadtplan von Libidissi vorangestellt.

Die Welt von Libidissi, einem Ort irgendwo in Nordafrika, irgendwo zwischen Tanger und Beirut, Tripolis und Bagdad, ist eine apokalyptische Welt: Endzeitstimmung, Totalitarismus, Anarchie, marodierende Banden. Die einstige Kolonialmacht wurde von einer religiös-fundamentalistischen Befreiungsorganisation abgelöst. Jetzt regiert ein gesichtsloses Militärregime. Aber eigentlich regieren Chaos und Willkür. Ein Menschenleben gilt nichts. Wie ein Schatten liegt der Prophet Gahi mit seiner nebulösen Lehre der von ihm gestifteten Religion über der brodelnden Stadt.

Mit den Einheimischen verständigt man sich auf „Piddi-Piddi“, dem Alltagsidiom von Libidissi. Einst regierte dort das Volk der Egichäer. Jetzt begegnen wir anderen Ethnien, den Seuschenen oder den Kyrenäern.

Vordergründig als klassischer Agententhriller erzählt, macht „Libidissi“ Anleihen bei „Science Fiction“. Fast alles an diesem Buch ist rätselhaft. Eine Stadt in einer nicht allzu fernen Zukunft, transnationale Organisationen und archaische Geheimbünde. Man kann nicht leben in Libidissi, nur überleben. Überall ist Dreck, Verwahrlosung, Zerfall.

Es wimmelt nur so vor unappetitlichen Gegebenheiten. Und da ist das verkrüppelte Mädchen Lieschen, das Ich=Spaik zugelaufen ist und nun im Taubenkot der Dachkammer stumm neben ihm herlebt. Ein italienischer Bildjournalist, der mit grässlich verzerrtem Gesicht und Körper an der „Mau-Seuche“ gestorben ist, wird auseinandergebrochen und in einer Tierverwertungsanlage kremiert. Unfallopfer sind eine begehrte Ware, die an das meistbietende Krankenhaus zur Organentnahme verhökert werden.

„Ich=Spaik“ ist ein verwahrloster Agent, der lange Zeit als der heimliche Star seines Arbeitgebers galt, nun aber offenbar seine Aufgaben vernachlässigt hat, abgelöst und eliminiert werden soll. Er besitzt das Blaue Dauervisum, abgestempelt vom Nationalen Befreiungsrat und den Internationalen Kontrollbehörden. Die in Plastik eingeschweißte blaue Karte hat er mit einer Nylonschnur um die Hüfte gebunden. Seine geheimen Anweisungen bekommt er verschlüsselt in der Fernsehsendung „German Fun“, deren Erkennungsmelodie die als Polka gespielte deutsche Nationalhymne ist.

Obwohl „Ich=Spaik“, der sogenannten Held dieses Romans, erst im letzten Jahr seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert hat, hat ihn das ungesunde Klima schwer mitgenommen: Sein linkes Augenlid ist erschlafft, er hinkt, weil die Zehen seines rechten Fußes nicht mehr richtig durchblutet werden. Er ist tablettenabhängig und holt sich regelmäßig Nachschub aus dem Münzautomaten, den sein Arzt, Doc Lynch Zinally, im Wartezimmer aufgestellt hat. Statt im Hotel Esperanza wohnt Ich=Spaik heimlich in einem Haus im ehemaligen „Lumpensiederviertel“.

Alles in diesem Buch ist albtraumhaft irr, wirr, unlogisch, absurd und konfus – hat der Autor möglicherweise beim Schreibprozess am Spielplatz zu viel von dem im Buch beschriebenen Narkotikum „Tschugg“ genossen?

Georg Kleins Erstlingswerk hat keine Moral, keine Botschaft. Anders als bei Kafka gibt es nicht einmal die Andeutung eines tieferen Sinns. „Du zuckst mit den Achseln und lächelst, als wolltest du damit sagen, es sein nicht nötig, jeden Irrwitz, den die Stadt ausbrütet, zu verstehen.“

Zurück bleibt nach der Lektüre dieses völlig durchgeknallten Titels vor allem Ratlosigkeit.

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