Gerard Donovan – „Winter in Maine“

Rating: ★★★★☆ 

Es ist ein einsamer Mensch, den uns Gerard Donovan in diesem Roman vorstellt: belesen, intelligent, sensibel. Einzig sein Hund Hobbes leistet ihm Gesellschaft in der Einsamkeit Maines, wo sonst nur vereinzelt die Schüsse von Jägern zu hören sind.

Julius Winsome ist 51 Jahre alt und lebt in einer Hütte in den Wälder Maines, am nördlichsten Punkt der USA. Wer hier lebt, legt keinen Wert auf Nachbarn. Schon sein Vater und sein Großvater haben in dieser Hütte gewohnt und schon als Kind hat Julius Shakespeare gelesen und sich an dessen Sprache erfreut, die außer ihm heute niemand mehr versteht.

Eines Tages taucht eine Frau unerwartet aber keineswegs zufällig auf. Doch Claire sucht die Sicherheit eines Mannes, der sie und eine Familie versorgen kann – und verlässt den Einsiedler Winsome nach wenigen Monaten so plötzlich, wie sie gekommen ist. Wer will schon einen Gelegenheitsarbeiter als Ehemann, der nur im Sommer mit Gartenarbeiten seinen bescheidenen Unterhalt für ein ganzes Jahr verdient und im Winter in seinen 3282 Bücher liest und unspektakulär durch die Wälder streift?

Sie hat Winsome jedoch zu seinem Gefährten, den Terrier Hobbes aus dem Tierheim, verholfen. Donovan führt den Leser in die Welt der Hunde ein: Wie bellen, wedeln, tollen und den Menschen Freund sind. So schreibt nur ein Hundefreund.

Hunde sind bedingungslos treu. Und so verschmerzt Winsome den Verlust Claires. Doch als vier Jahre später eines Tages sein geliebter Hobbes grundlos erschossen wird, bricht in ihm eine Welt zusammen: Ein Mann sieht rot.

In literarisch anspruchsvollen Romanen erleben wir Menschen, die mitten in ihrem ansonsten überschaubaren Leben durch ein einziges Ereignis aus der Bahn gerissen werden. Manchmal ist es nur ein Tropfen, der der Fass zum Überlaufen bringt. Durch die jäh entstandene Einsamkeit verliert Julius Winsome seinen Halt.

Mit einem uralten Karabiner aus dem Ersten Weltkrieg geht Winsome auf Rachefeldzug. Völlig kaltblütig tötet er einen Jäger nach dem anderen – immer im Glauben, dieser habe seinen Hund getötet. Aus einem völlig friedfertigen und besonnenen Menschen wird über Nacht ein Serienkiller.

Gerard Donovan ist ein psychologisch tiefgründiger Roman ganz in der amerikanischen Tradition eines Truman Capote (In cold blood“) oder eines Georges Simenon gelungen. Dicht, kompakt und doch aufgeladen wirkt die Atmosphäre, eingefärbt von der Trauer des Protagonisten. Und genau so dicht ist auch Donovans Sprache. Ohne jeden Zweifel gehört dieser Roman zu den bedeutendsten englischsprachigen Werken der vergangenen Jahre, eine große literarische Leistung.

Die ungekürzte Lesung wird auf 5 CDs 328 Minuten von Markus Hoffmann vorgelesen. An einem Booklet wurde leider gespart (man hat stattdessen eine Werbebeilage vorgezogen). Hoffmann hat den diesem Buch angemessenen melancholischen Ton gefunden, auch wenn dieser überaus monoton und zuweilen ermüdend ist.

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