Heiner Geißler – „Ou Topos“

Rating: ★★★★☆ 

Heiner Geißler war im Laufe seines langen Politikerlebens immer für eine Überraschung gut. Als Jesuitenschüler, examinierter Philosoph und promovierter Volljurist war er intellektuell und rhetorisch den meisten Parteikollegen oft weit überlegen – etwas, das nicht unbedingt zu seiner Beliebtheit beigetragen hat.

Wenn auch der CDU treu ergeben, hat ihn dies nie dran gehindert, eine abweichende Meinung in Sachfragen einzunehmen. Vermutlich ist Heiner Geißler auch der einzige Realpolitiker Deutschlands, der dem Kapitalismus sein Scheitern offen voraussagt. Geblieben ist er immer Christ, wenngleich sein Gottesbild ein anderes ist, als manchem Kleriker lieb sein wird – eben typisch Jesuit.

Geißler unterscheidet eben zwischen der grundsätzlichen Frage, ob es einen Gott gibt und ob man persönlich an ihn glaubt: „Da die Existenz Gottes der Vernunft nicht widerspricht, die Vernunft aber nicht alles erfasst, was existiert, bleibt Raum für die Religionen und für den Glauben an Gott“.

Heiner Geißler nimmt uns in diesem Buch einmal mehr mit auf eine „Tour d‘ horizon“ über Religion, Gut und Böse, Toleranz, Bildung, Tugenden, Idealen und diversen Utopien der Welt- und Wirtschaftsordnung. Dabei schöpft er aus seinem unendlichen Wissen aus nahezu 80 Lebensjahren.

Er, der heute als Publizist, Autor und Redner arbeitet und gern gesehener Gast in diversen Talk Shows ist, ist immer ein freier Geist geblieben. Bei ihm geht zusammen, was bei anderen nicht geht: Seine Mitgliedschaft in der CDU spricht für ihn nicht gegen ein Engagement als Globalisierungskritiker bei attac.

Einzig seine große Popularität hat ihn vor dem Parteiausschluss bewahrt – gefordert haben das viele. Ja, man hat den Eindruck, dass er mit zunehmendem Alter radikaler im Denken geworden ist – vielleicht auch, weil ihn inzwischen „keiner mehr kann“.

Fazit: Und so gerät dieses Buch zu einem öffentlichen Nachdenken über Seinsfragen und Gesellschaft gleichermaßen – das alles bei einem vertretbaren Maß an Selbstdarstellung.

Dieser Beitrag wurde unter 4 Sterne, Philosophie abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.