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Wenn ich als Überschrift für diese Rezension einen Titel Simone de Beauvoirs verwende, so mit Bedacht: Immer wieder hat mich dieses Buch über die fast 60 Jahre dauernde Ehe eines deutschen Akademiker- und Schriftstellerehepaars an jene von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre erinnert.
Es ist eine große Lebenskunst als (Ehe-) Paar einen Weg zu finden, bei dem jeder seinen autonomen Weg gehen und gleichzeitig Gemeinsames entstehen kann. Ein solches Leben zeugt von großem Respekt vor dem anderen und seinen oftmals unterschiedlichen Meinungen und Leistungen. Die gemeinsamen Werke „Frau Thomas Mann“ und „Katias Mutter“ sowie „Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn“ zeugen von dieser Fähigkeit. Unvergessen auch ihr gemeinsames Engagement gegen die Raketenstationierung in Mutlangen oder das Verstecken zweier amerikanischer Deserteure im Golfkrieg. Wer bislang der Meinung war, Inge Jens habe zeitlebens im Schatten Ihres Mannes, Walter Jens, gestanden, wird spätestens hier eines Besseren belehrt. Kaum ein anderes Ehepaar der deutschen Zeitgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg hat als Autorenpaar getrennt und gemeinsam so viel geschaffen.
Inge Jens studierte Germanistik, Anglistik und Pädagogik in Hamburg und Tübingen und promovierte mit einer Arbeit über die expressionistische Novelle und hat sich besonders als Herausgeberin der Tagebücher Thomas Manns und vielen anderen kulturhistorischen Projekten in der Fachwelt einen Namen gemacht. So gesehen ist diese Autobiographie – die auch teilweise eine Biographie Walter Jens‘ ist – auch ein überaus lesenswertes Zeitdokument der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn man den Begriff „Emanzipation“ als Fähigkeit versteht, eine eigenständige, individuelle Lebensperspektive zu entwickeln, die dem Leben einen Sinn oder eine Rechtfertigung gibt, dann ist Inge Jens ein beeindruckendes Beispiel für eben diese Definition. Das vorliegende Buch gibt dem interessierten Leser die Antwort darauf, wie dies gelungen ist – und gelingen kann.