Manfred Lütz – „Irre“

Rating: ★★½☆☆ 

Immer mehr Ärzte konvertieren offenbar angesichts schmaler werdender Kassenbudgets zu Autoren, Unterhaltungskünstlern und gar Kabarettisten, wie Dr. Eckart von Hirschhausen (der auch das Vorwort zum Buch schrieb) und eben Dr. Manfred Lutz.

Lütz versucht nicht mehr und nicht weniger, dem Leser / Hörer einen Überblick der gesamten psychischen Erkrankungen zu geben – eine Einführung in die Seelenkunde eben oder „Alles, was Sie über Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie, Sucht, Demenz usw. wissen sollten.“

Auf den ersten CD versucht Lütz sein vermeintliches kabarettistisches Talent herauszustellen, wenn er sich an der Normalität von Show-Größen wie Dieter Bohlen oder Boris Becker delektiert. Da ist der interessierte Hörer recht geneigt, sich den Rest des Hörbuchs zu ersparen. Der Rheinländer Lütz ist offenbar auch der Meinung, dass nur seine Landsmannschaft über Humor verfügt – klinisch nennt man das wohl Projektion.

Doch wieder einmal wird Geduld belohnt: Lütz ist tatsächlich dann wirklich gut, wenn er klinisch wird. Dabei stellt Lütz dem Hörer / Leser zur Verdeutlichung von beschriebenen seelischen Erkrankungen – selbstverständlich in aller Diskretion – eine Vielzahl von Fällen aus seiner eigenen Praxis als Psychiater vor.

Insgesamt erkennt man bei Lütz eine grundsolide ethische Einstellung als Arzt und Respekt vor psychisch Erkrankten. Ob man seinem vehementen Plädoyer für den Einsatz von Psychopharmaka folgen will, möge jeder Leser / Hörer selber entscheiden.

Und ob die Aufforderung am Ende jeder CD, die nächste einzulegen („Zur Fortsetzung legen Sie bitte CD 2 ein!“) etwas mit den von Lütz beschriebenen „zwanghaften Analcharakteren“ zu tun hat, sei an dieser Stelle dahin gestellt.

Ein weitverbreitetes Elend ist generell der Versuch von Autoren, das eigene Werk auch selber vorzulesen. Das gelingt nur in den seltensten Fällen. Natürlich ist es verlockend naheliegend, „weil man sein eigenes Werk ja am besten kennt“. Allerdings ist „Diplom-Sprecher“ ebenso ein Ausbildungsberuf wie Schauspieler und dauert ebenfalls mehrere Jahre. Das wird seine Berechtigung haben.

Wahrscheinlich ist es Manfred Lützs Geburtsort Bonn geschuldet, dass man sich elendig oft über Aussprachen wie „psügisch“ oder „Dianjose“ ärgern muss. Der Vortragsstil auf 6 CD und 443 Minuten ist insgesamt freundlich-professoral, eben typisch „Onkel Doktor“.

Fazit: Wer durchhält, bekommt manch interessanten Einblick in den Alltag moderner Psychiatrie.

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