Martin Walser – „Mein Jenseits“

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Zugegeben, einst war ich ein glühender Verehrer Martin Walsers – bis Ende der 90er Jahre.
Mit etwa 70 Jahren schrieb Walser zwar immer noch über sein ewig gleiches Thema, doch störte mich ab „Ein springender Brunnen“ die Altherrenerotik zunehmend.

Wir schreiben inzwischen das Jahr 2010 und Martin Walser veröffentlicht seine Novelle „Mein Jenseits“ offenbar als Teilvorabdruck des noch kommenden größeren Werks „Muttersohn“.

Und kein Zweifel, auch im hohen Alter kann Martin Walser noch scharf denken und brillant formulieren. Nur wird er – wie viele alte Menschen – ein wenig komisch, wie er bereits auf der ersten Seite selber ahnt: „Der und der wird auch allmählich komisch.“

Ab einer bestimmten Lebensphase schaut der Mensch zurück auf sein Leben und versucht sich mit dem Rest zu arrangieren. Es ist bekannt, dass je näher die Todesstunde rückt, der Menschen nach den letzten Dingen fragt – was kommt also danach?

„Ich ging immer an einer Wand entlang, die würde aufhören, dann begänne das Leben, die volle Berührung. Das war ein Irrtum. Diese Wand war das Leben.“ Sätze wie in Stein gemeißelt.

Mir ist Martin Walser zwar als politischer Autor durchaus bewusst, nur als religiöser bisher nicht. Es gibt wenig Schriftsteller, die wie Martin Walser durch und durch in der Gegenwart gelebt und geschrieben haben. Das „Jetzt“, das pralle, volle Leben war immer wichtiger als das Kommende.

„Ich weiß, dass es den Himmel nicht gibt. Aber das Wort mit allem Drum und Dran. Genau so die Hölle. Natürlich gibt es sie nicht. Aber wir haben sie geerbt. Himmel und Hölle. Innen sind wir ausgestattet mit Himmel und Hölle und mit allem dazwischen. Himmel und Hölle existieren, ohne dass wir daran glauben.“

Wie kaum ein anderer Autor ist Walser ein Meister zwischen den Zeilen. Geschickt packt er sich und seine Sichten in die Narration ein. Der Leser muss schon aufpassen, sonst überliest er schnell jene entscheidenden Textstellen.

Und so gerät die Geschichte Augustin Feinleins letztlich nur (!) zur tragenden Konstruktion dieses kleinen Büchleins. In den Kammern und Fugen finden wir dann das zentrale Anliegen.

Glauben, das ist für Walser offenbar wie „Pfeifen im Dunkeln“: „Ich will keinen einzigen Menschen überzeugen. Nur mich selbst. Wenn mir das gelingt, wenn mir das gelänge, wäre ich der glücklichste Mensch in dieser Welt.“

Feinlein / Walser braucht jetzt den Glauben: „Egal ob es Gott gibt oder nicht, ich brauche ihn.“ Er weiß aber auch: „Gäbe es Gott, dann gäbe es kein Wort dafür.“

Martin Walser schreibt: „Glauben lernt man nur, wenn einem nichts anderes übrig bleibt. Aber dann schon.“ Denn „Mit dem Unerklärlichen kann man nur leben, weil man auf die Erklärung hofft.“

Und auf den Punkt gebracht: „Glauben, was nicht ist. Dass es sei.“

Walsers großes Vorbild Goethe stirbt im Alter von 83 Jahren. Walser stellt im gleichen Alter die entscheidenden Fragen.

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