Norbert Scheuer – „Den Bach runter“

Rating: ★★★★☆ 

Nachdem ich den viel gelobten Roman von Norbert Scheuer „Überm Rauschen“ aus dem Jahre 2009 gelesen habe, bin ich neugierig geworden auf seine früheren Werke.

Machen wir es kurz: Die Lektüre hat mich ein wenig enttäuscht, allerdings nur, weil „Flussabwärts“ bereits viele Elemente enthält, die der Leser in „Überm Rauschen“ wiederfindet – und ohne jeden Zweifel ist der neue Roman noch besser gelungen.

„Es schneite, das Flutlicht auf dem Sportplatz war noch nicht an“, so beginnt dieser Roman. Die Eifel ist auch hier die enge Heimat des jungen Protagonisten Leo und seiner chaotischen Familie.

Flüsse durchziehen die Landschaft, wo Orte so seltsame Namen wie Prüm, Urft, Kyll oder Kall haben. Auch hier basiert die Existenz der Eltern auf einer Gastwirtschaft, auch hier ist die Ehe der Eltern mehr als zerrüttet. Die Mutter arbeitet in einer Kantine und kellnert im Gasthaus, der Vater ist ständig auf Montage. Die Kinder bleiben weitgehend sich selber überlassen.

Doch alle sehnen sich nach ein bisschen Liebe und Zugehörigkeit: Die Mutter hat ständig Verhältnisse mit anderen Männern, der Vater hat offenbar auch Geliebte, Leo hat ein Verhältnis mit der verheirateten Ingrid, die von Leo geliebte Lia geht mit einem Kaffeefahrtenverkäufer mit und kommt Jahre später mit einem Kinde zurück. Sie heiratet Hilbert, doch die Ehe scheitert schnell, Lia hat andere Männer. In der Nähe der Kläranlage hat Tamara ihren Wohnwagen abgestellt. Jeder weiß, welche Dienste Tamara in ihrem Wohnwagen anbietet. Und wenn gar nichts mehr geht, wird gesoffen, man kifft oder nimmt Tabletten.

Clara, Lias kleines Kind, verschwindet. Dann treibt Lias Hut, den sie von Leos Mutter bekommen hat, im Fluss. Clara wird tot aufgefunden. Hilbert steht im Verdacht. Effner wirbt um Sanne, Leos Mutter. Hilbert will Lias Liebe erzwingen – nein, das ist kein ruhiger Fluss des Lebens in diesem Eifelort Kall.

Der Vater liegt im Sterben und deliriert. Er erzählt von einem Boot, das flussabwärts treibt, immer weiter flussabwärts und orakelt böse, dass er alle mitnehmen werde. Alles geht hier irgendwie den Bach runter. Vielleicht ist das Flutlicht, wenn es dann eingeschaltet wird, das einzig Wärmende in dieser kalten Landschaft.

„Ich versuche, mit Mutter zu reden. Aber sie erzählt mir nie, was ich eigentlich wissen will. Manchmal bin ich ihr böse deswegen, aber dann denke ich, daß es besser so ist. Niemand kann wirklich alles erzählen.“

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