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Norbert Scheuer hat mit „Überm Rauschen“ ein poetisches Buch geschrieben, das – möglicherweise nicht zufällig – an die ganz großen deutschen Gegenwartsautoren Günter Grass und Siegfried Lenz erinnert. Mit Ersterem verbinden Scheuer die vielen Zeichnungen von Fischen und Fliegenködern mit Zweiten Sujet und der ruhige, unaufgeregte Erzählstil.
Gelungene Literatur zeigt Menschen in der Krise. Die Geschichte dieses Romans ist – wiederum ganz Siegfried Lenz – die Geschichte von Außenseitern. Erneut kehrt Scheurer dazu in seine Heimat, die Eifel, zurück. Die beiden Brüder Hermann und Leo haben sich unterschiedlich entwickelt: Der Eine ist in der Heimat geblieben, der Andere hat ihr mit Aufnahme des Studiums den Rücken gekehrt.
Nun kehrt der jüngere Leo, Mitte vierzig, nach Jahren der Abwesenheit in seinen Heimatort zurück, wo die Zeit nahezu stehen geblieben scheint. Die Mutter liegt inzwischen dement im Heim, der Stiefvater ist lange tot, sein älterer Bruder, droht dem Wahnsinn zu verfallen. Gerufen von seinen Schwestern, soll er ihn, der nahezu sein gesamtes Leben am Fluss verbracht und es dabei zu einer wahren Meisterschaft im Fliegenfischen gebracht hat, aus seiner verzweifelten Lebenslage retten.
Beim Fischen beschwört der Heimkehrer die Welt seiner Kindheit herauf, vor der er einst floh, die Trunksucht des Vaters, die aus Trauer geborene Liebesunfähigkeit der Mutter, die notorischen Geldsorgen, die dörfliche Enge. Einst sind sie gemeinsam mit ihrem Vater zum Angeln gegangen. Denn gleich hinter der Gaststätte, mit der die Eltern ihren Lebensunterhalt bestritten, rauscht der Fluss. Zeitlebens war der Vater auf der Jagd nach dem riesigen, mythischen Urfisch Ichthys gewesen. Doch sowohl Vater als auch der Bruder scheitert am urzeitlichen Fabelwesen.
Nun steht Leo, der es beim Angeln als Kind nie mit seinem Vater oder Hermann aufnehmen konnte, im Fluss und jagt den Ichthys. Die eigene Kindheit am Fluss kehrt zurück, die erste Liebe Alma, die elterliche Gastwirtschaft, der sonderliche, fischverrückte Vater, die umtriebige Mutter. Trauer und Schönheit liegen – wie oft im Leben – dicht beieinander.
Die Jagd nach dem Fisch gleicht nicht zufällig der Suche nach dem Glück: „Der Fluss ist eine Matrize, auf der sich alles unentzifferbar einritzt – für uns bleibt es danach verborgen -, aber ich weiß, dass es dennoch da ist, man kann es ahnen und träumen, vielleicht wissen die Fische es auch.“
Ein wundervoller Roman über die Heimat und Kindheit in der Eifel und die profane Verwandlung einer einst mythischen Welt.