Pauline de Bok – „Blankow“

Rating: ★★★★★ 

Der Gattungsbegriff fällt schwer: Kein Roman, kein Sachbuch, eher ist ein Tatsachenbericht darüber, wie sich die Autorin / Erzählerin auf einem Gehöft im Mecklenburgischen niederlässt.

Blankow – das ist ein einsamer und abgewirtschafteter Bauernhof in der Nähe des Mürzinsees. Die Orts- und Personenangaben wurden von der Autorin abgeändert: „Die Personen heißen in Wirklichkeit anders. Sie sind Figuren im großen Erzählwerk der deutschen Geschichte.“ In den verfallenen Gebäuden und im Boden findet die Erzählerin Reste des Lebens früherer Bewohner wieder.

Sie findet Briefe einstiger Bewohner, unterhält sich mit den Einheimischen, rekonstruiert die Geschichte des fast 200 Jahre alten Vorwerks und beginnt, Archiven und Dokumenten Lebensgeschichten aus der Zeit zwischen 1827 und der Gegenwart Schicht für Schicht freizulegen – bis zum Ende der DDR. Immer mit dabei ihr Hund.

Pauline de Bok erzählt dabei nicht nur die Geschichte dieses Hauses und seiner Region, sondern die Geschichte eines Landes. „Es geht mir nicht um die Individuen, doch zugleich bin ich davon überzeugt, dass sich die große Historie am besten anhand von Einzelleben erzählen lässt.“ Auf einfühlsame, ruhige und leise Weise gibt die Autorin einer Gegend und ihren Menschen eine Identität und erschreibt sich gleichzeitig eine eigene Heimat sowie eine eigene Geschichte. Erinnerungsbruchstücke, Legenden und Fakten zeigen, wie das Verlangen nach Heimat und der Verlust von Heimat Lebensgeschichten geprägt und Geschichte geschrieben hat.

Auf zwei Erzählebenen nimmt Pauline de Bok den Leser mit in die Entdeckung der Geschichte Blankows: Sie beschreibt auf der einen ihre tägliche Ausflüge, Streifzüge und Begegnungen in der Gegenwart, mit präzisen Beschreibungen der geschundenen und exploitierten Natur und auf der anderen lässt sie uns mit eintauchen in die verschiedenen Sedimentschichten der Vergangenheit. Die Suche nach historischen Fundstücken steht dabei der Kärrnerarbeit eines Walter Kempowski nicht nach. Dies ist ein großes Verdienst und ein großer Beitrag zur Klärung deutscher Geschichte.

„Es geht mir vor allem darum, wie Menschen, die eines Tages irgendwo auf der Welt geboren werden, sich mit dieser Gebundenheit an Zeit, Ort, Umwelt, Familie und Genotyp durchs Leben schlagen. Und wie jeder für sich keine andere Wahl hat, als sich mit seinem Schicksal zu versöhnen.“ Das genau ist der Anspruch großer Literatur.

Pauline de Bok ist ein wunderbares, einzigartiges Buch über Deutschland gelungen, ein Buch, voller Geschichte und erschütternder Lebensläufe. Es ist auch ein selten ruhiges Buch, ähnlich jener stillen Tage mit Wetterlagen ohne jeden Wind – die Zeit scheint für einen Moment stillzustehen.

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