Tiziano Terzani -„Fliegen ohne Flügel“

Rating: ★★★☆☆ 

Nachdem ich mit großer Faszination die beiden letzten Bücher Tiziano Terzanis gelesen hatte, beschloss ich, seine anderen Werke quasi „antichronologisch“ ebenfalls zu lesen, angefangen mit diesem.

Gewiss, Terzani nimmt seinen Leser mit auf eine – in jeder Hinsicht – lange Reise von Südostasien, China, die Mongolei, Sibirien nach Europa und wieder zurück nach Singapur. Der Charme des Buches liegt in der Warnung eines Wahrsagers, im Jahre 1993 auf keinen Fall zu fliegen. Terzani nimmt den Rat ernst und macht sich stattdessen mit Schiff, Bahn und Bus auf den Weg. Diese Verlangsamung der Bewegung erlaubt ihm oft ein längeres Verweilen und ein genaueres Hinsehen.

Wie der Untertitel bereits andeutet, geht es Terzani bei diesem Buch um „Eine Reise zu Asiens Mysterien“. Faktisch bedeutet dies, dass Terzani an jeder Station seiner Reise einen „Wahrsager“, „Seher“ oder „Astrologen“ aufsucht, um sich von diesem die Zukunft vorhersagen zu lassen. Am Anfang des Buches ist es ohne Zweifel interessant, mitzuerleben, wie Menschheit seit altersher und so auch in Asien mit den skurrilsten Mitteln versucht hat, der Zukunft in die Karten zu schauen. Und ähnlich wie bei einem verblüffenden Zaubertrick, staunt der Leser, dass es offenbar doch „mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als er je selber geträumt hat“, wenn die Wahrsager Terzani korrekte Dinge über seine Vergangenheit sagen, für die ihnen keinerlei Zugang außer ihrer eigenen spiritistischen Qualitäten zur Verfügung standen.

Doch, was für die Vergangenheit verblüfft, gerät bei den Zukunftsdiagnosen zu Farce – zumindest für den Leser von heute, der weiß, dass Tiziano Terzani entgegen den meisten Weissagungen leider nicht „alt“ geworden ist. Tiziano wurde am 14. September 1938 in Florenz geboren und starb mit 66 Jahren am 28. Juli 2004. Und spätestens nach dem zehnten Wahrsagerbesuch wird dieses ans Manische grenzende Unterfangen dem Leser langweilig.

Ohne jeden Zweifel ist Terzani ausgewiesener Asienkenner und vermittelt dem Leser auch in diesem Buch manch interessante Information über den sich im totalen Umbruch befindlichen Kontinent, auf dem Terzani einen großen Teil seines Lebens als SPIEGEL-Korrespondent zugebracht hat. Er war berühmt für seine Reportagen, die weit über das tagespolitische Geschehen hinausgingen und lebendige, einfühlsame Portraits der Länder und ihrer Bewohner, ihrer Spiritualität und Kultur lieferten.

Doch hier zeigt sich das andere Gesicht dieses mutigen, neugierigen und weltoffenen Mannes: Wie er in seinem Buch „Das Ende ist mein Anfang“ berichtet, stürzt Terzani Ende der 80er Jahre in Japan in eine tiefe Depression mit anschließenden Fluchten und pantheistische Phantasien – offenbar angesichts der von ihm geliebten und vormals so spirituell geprägten Länder Asiens, die scheinbar unentrinnbar der technischen Zivilisation und dem Materialismus des Westens anheimfallen.

Diese Krise hat er offenbar nie mehr ganz bewältigen können. Dass Terzani nach eigener Aussage „überhaupt nicht abergläubisch“ ist, führt er in diesem Buch selber ad absurdum.

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