Karl May – „Der Orientzyklus“

Rating: ★★★☆☆ 

Es ist zugegeben schon ein Experiment, wenn man nach mehr als 40 Jahren Bücher liest bzw. heute meist hört, die man als Jugendlicher verschlungen hat!

Natürlich kommt man sich angesichts der dick aufgetragenen Geschichten und der vor Pathos und Stereotypen („Der Orientale ist halt so …“) triefenden Geschichten beim Hören dieser 12 CDs manchmal recht albern vor.

Doch mit 14 Jahren hatte man noch keinerlei Bezug zu solchen Begriffen. Und vielleicht muss sich der heute erwachsene Leser bzw. Hörer sich vielmehr erschreckt fragen, welchen Einfluss solche Literatur denn wohl auf das eigene Denken und Handeln genommen haben mag?

Die Produzenten umschiffen diese Klippe sehr gekonnt, in dem Sie jeder der zwölf CDs ein Fragment des weniger berühmten Lebens Karl Friedrich Mays voranstellen, in denen all die Gerichtsverhandlungen szenisch nachgestellt werden, denen sich Kara Ben Nemsi Effendi in seinem wirklichen Leben peinlichst unterziehen musste. Das finde ich nun wiederum raffiniert!

In der Psychologie spricht man wohl von Kompensation, wenn einem das eigene Leben nicht so recht gelingen will und man sich stattdessen auf andere Schauplätze und Dinge des Lebens mit Inbrunst kapriziert. Die Aufhebung des eigenen Scheiterns im fiktiven Leben, sei es im Orient oder im Wilden Westen, erinnert mich an die hohe Akzeptanz von „Second Life“ im Internet. In diesem Sinne ist Karl May sein zweites Leben doch recht beachtlich und umfangreich gelungen.

Hörspieltechnisch ist diese Produktion vom Feinsten. Hier wurde an nichts gespart, weder an Sprechern noch an szenischer Gestaltung.

Fazit: Ein bisschen peinlich, aber wer nach der Lektüre von Karl Marx noch Karl May zugeben kann, hat immerhin auch Charakter …

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