J. R. Moehringer – „Tender Bar“

Rating: ★★★★☆ 

Man muss die US-amerikanische Kultur in der Tat schon grundsätzlich mögen und den Ostküstenhumor mit seiner manchmal umwerfend trocken-komischen Idiomatik schätzen, will man diesem Buch etwas abgewinnen.

Die Handlung dieses autobiographischen Buches, die Geschichte eines Jungen, der auf Long Island ohne Vater aufwächst und dessen Eltern es nicht einmal geschafft haben, ihm einen richtigen Namen zur geben, so dass er zeitlebens hofft, dass niemand ihn danach fragt, was sich hinter den Buchstaben J. R. verbirgt (nichts Einfallsloseres als „junior“, amerikanisch abgekürzt „jr“), ist tragikomisch.

Den Ersatz für die fehlende väterliche Liebe findet JR im Alter von zehn Jahren im „Dickens“ (später „Publicans“), wo gescheiterte Existenzen sich das Leben mit Alkohol schöner trinken. Von ihnen lernt er jedoch, was Zusammenhalt, Vertrauen und Zuversicht ist. Hier erfährt er Unterstützung und Ermutigung. Mit ihrer Hilfe schafft er die nahezu unmögliche Aufnahme in „Yale“. Und nur um sie nicht zu enttäuschen, schafft er mit vielen Mühen seinen Abschluss, ähnlich wie er sich später bei der „New York Times“ als Volontär für sie durchbeißt, weil er weiß, wie stolz sie auf ihn sind. Bei ihnen und beim Alkohol findet JR Trost, als die erste große Liebe scheitert.

Und so wird eine handvoll trunksüchtiger Männer für ihn zu tauglichen Vaterersatz und Pendant zur liebevollen Mutter, die unter miserablen finanziellen Bedingungen versucht, für JR eine bessere Zukunft zu schaffen als sie jemals selber hatte. Und dann ist da noch Frank Sinatra, Sinnbild amerikanischen Erfolgs, ohne den JR das alles nicht geschafft hätte.

Ulrich Noethen ist als Vorleser eine m. E. ideale Besetzung der sechs CDs umfassenden Hörbuchversion, die ganz ohne jegliche „akustische Inszenierung“ auskommt. Er trifft den tragikomischen Tonfall dieser Ostküstenbiographie perfekt. Zudem ist die fast siebenstündige Hörbuchversion preislich ein echtes „Schnäppchen“!

Fazit: Ein bemerkenswert „zärtliches“ Buch über eine Kindheit auf Long Island, ohne den sonst üblichen „Vom-Tellerwäsche-zum-Millionär-Plot“.

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