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Uwe Timm ist ein besonderer Schriftsteller deutscher Gegenwartsliteratur – einer der besten, wenn Sie mich fragen.
Der Roman ist seinem Wesen nach eine fiktionale Schriftform. Gewiss, jeder Autor gibt dabei auch immer etwas „Wahres“ über sich oder andere preis. Doch Uwe Timm ist einer der wenigen Schriftsteller, dem es selbst im Traum nicht einfallen würde, je eine Geschichte ohne Realitätsbezug zu schreiben. Immer sind Timms Bücher genaue Zeitdokumente über gelebtes Leben, oft zudem aus seinem eigenen inneren Zirkel, der Familie, dem Freundeskreis.
Mit diesem neuen Roman, den ich in ungekürzter Hörbuchform gekauft habe, gibt Uwe Timm nun nach vielen großen Erfolgen sein Meisterwerk ab. Wie ein Magister ludens und wie in keinem anderen Buch spielt Timm mit seinen Personen – besonders gelungen im Hörbuch, das Matthias Brandt und Maria Schrader (sowie Fumio Okura mit einigen japanischen Haikus in deutscher Übertragung) episodisch vortragen (vorlesen wäre das falsche Wort, auch wenn dies leider zunehmend gängige Praxis preiswerter Hörbucheditionen ist). Dramaturgische Idee und Umsetzung sind mehr als gelungen. Das Hörbuch umfasst 460 Minuten auf 6 CDs.
Der gesamte Roman spielt sich innerhalb weniger Stunden auf dem Invalidenfriedhof in Berlin ab. Den Rahmen der Geschichte bildet die dort 1933 begrabene junge Fliegerin Marga von Etzdorf. Der „graue“ Stadtführer, der den fiktiven Erzähler (den alter ego Uwe Timms) über den Invalidenfriedhof geleitet und ihm die Geschichten der vielen toten historischen Personen berichtet, erlaubt dem Leser (Hörer) gleichzeitig erschütternde Einblicke in die deutsche Geschichte. Die unheimlichen Stimmen der Toten vervollständigen nach und nach nicht nur die verschlungene aber wirkliche Geschichte der Marga von Etzdorf, sondern auch die des Dritten Deutschen Reichs. Uwe Timm beschwört noch einmal die Dämonen und Unmenschen der Jahre 1933 bis 1945 herauf und verleiht einstigen Nazigrößen ebenso eine Stimme wie den Generälen der preußischen Befreiungskriege. Der berechnende Wahnsinn von Krieg und Völkermord kulminiert nicht zufällig und überaus sinnfällig auf eben diesem Berliner Invalidenfriedhof.
Fazit: Ich bin sicher, dass Uwe Timm die allerhöchsten Auszeichnungen für dieses Werk bekommen wird. Dieser Roman gehört zu den besten, den die deutsche Nachkriegsliteratur über die Zeit des Nationalsozialismus anzubieten hat.