Anton Haugender – „Brunos Fund“

Rating: ★★★★☆ 

Nach Anton Haugeneders erstem Romandebüt „Grubers perfekte Flucht“ präsentiert sich der Autor in diesem Buch nun nicht nur sprachlich, sondern auch erzählerisch als Chronist. Im Vergleich zum ersten Buch, das wie das gelungene Gesellenstück eines Hochbegabten zur Aufnahme in die Gilde deutscher Schriftsteller wirkt, schreibt Haugeneder nach einigen anfänglichen Seiten etwas bemüht wirkender Lockerungsübungen frei auf. Keine langatmigen (wenn auch präzise und gelungenen) Schilderungen alltäglichen und banalen Erlebens genazinoischen Charakters warten hier mehr auf den Leser, sondern ein frischer und lockerer Erzählstil, wie er nur selten unter deutschen Literaten anzutreffen ist.

Man kann, mit Verlaub und wenn man will, hier und da durchaus erzählerische Parallelen mit Romanen des reifen Siegfried Lenz entdecken. Die Vermutung einer autobiographischen Verarbeitung eigenen Erlebens scheint angesichts der Erlebnisfülle und Authentizität nicht von der Hand zu weisen.

Wir erleben die klassische deutsche Wirtschaftswunderfamilie mit VW Käfer und Ford Taunus 12 M. Wir sind dabei, wenn Ludwig Erhards Kanzlerschaft endet und Beate Klarsfeld seinem Nachfolger Kiesinger ohrfeigt und dafür prompt ein Jahr ins Gefängnis geht. Wir erleben den Beginn des Vietnamkrieges mit Präsident Johnson. Wir sind live mit dabei, wenn der erste Beat-Club von Radio Bremen ausgestrahlt wird und die Amerikaner auf dem Mond landen. Wir begegnen den Beatles und Rolling Stones ebenso wieder wie Procol Harum und Jimi Hendrix. Es ist, als ob der Autor in Auszügen eine genaue Prosaversion der „Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts“ geschrieben hätte.

Und wir erleben den Schüler Bruno Lanzinger, wie er vor diesem Hintergrund seine Jugend erlebt, geprügelt und geprägt von Lehrern, mit nicht bewältigter Nazi-Vergangenheit. Am Anfang noch fasziniert von Louis Stevensons „Schatzinsel“, dann mitgerissen von den Beatles und Stones. Alle diese zeitpolitischen Zusammenhänge scheinen mit seinem Schicksal verwoben.

Der Erzählstil erinnert – vielleicht nicht ganz zufällig – an den eines frühen Uwe Timm („Heißer Sommer“), dem der Autor mit diesem Buch in vielerlei Hinsicht sehr nahe kommt. Dort, wo Timm seine Geschichte beginnen lässt, endet die von Haugeneder, nämlich Ende der 60er Jahre.

Auf 350 fesselnd und eng geschriebenen Seiten – in größerer Schriftart hätte das Buch auch gut 500 Seiten gefüllt – nimmt uns Haugeneder mit auf die Jugendreise. Ein ungewöhnlicher Fund wird zum Geheimnis des jungen Bruno und mag symbolisch für jene beliebigen Geheimnisse stehen, von denen wohl jeder junge Mensch mindestens eins durch sein Leben trägt. Am Ende löst sich der Knoten unerwartet auf.

Fazit: Eine autobiographische Reise durch die BRD und ein überaus gelungener, epochaler Roman eines viel versprechenden deutschen Schriftstellers, bei dem die bewegten 60er Jahre der BRD als Klammer für den Roman einer Kindheit in Bayern dienen, ohne dabei in bewertender Nostalgie zu landen. Wie sind gespannt, wie es weiter geht, mit dem Protagonisten Bruno Lanzinger und seinem Autor Anton Haugeneder. Man kann Anton Haugender nur noch einen größeren Verlag und eine große Leserschaft wünschen, die es ihm erlauben, sich ganz auf die Schriftstellerei zu konzentrieren. Seinen eigenen Stil hat er gefunden.

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