Uwe Timm – „Der Freund und der Fremde“

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Das Thema der Studentenrevolte zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk Uwe Timms, vom ersten Romanerfolg „Heißer Sommer“ über „Kerbels Flucht bis hin zu „Rot“.

Nach den „Römischen Aufzeichnungen“ und „Am Beispiel meines Bruders“ legt Uwe Timm im Jahre 2005 sein drittes autobiographisches Buch vor.

Dieses Mal geht es abgesehen von einer sehr beeindruckenden Aufarbeitung des Lebens von Benno Ohnesorg auch um das Denken und Handeln der ersten Nachkriegsgeneration. Der Leser erhält Teilantworten auf mögliche Einflussfaktoren auf die jungen Menschen dieser Zeit des versuchten Aus- und Aufbruchs.

Uwe Timm hatte einst mit Benno Ohnesorg am „Braunschweig-Kolleg“ sein Abitur nachgeholt. Man war befreundet, schrieb Gedicht, las sie einander vor. Uwe Timm schildert uns einen sensiblen, intelligenten Benno Ohesorg, der nichts mit Gewalt am Hut hatte, als er im Jahre 1967 anlässlich der „Anti-Schah“-Demonstration in Berlin vom Polizisten Karl-Heinz Kurras ohne Not erschossen wurde, die Polizei ihn jedoch als „Gewalttäter“ darzustellen versuchte. Kurras wurde damals übrigens frei gesprochen: Der Begriff „Putative Notwehr“ wurde eigens dafür erfunden. Dieser Affront setzte eine gesellschaftspolitische Kettenreaktion in Gang.

Was Uwe Timm 2005 noch nicht wissen konnte, wurde erst 2009 bekannt: Kurras war IM der Stasi. Diese Tatsache stellt den Todesschuss, die Rolle des MfS und die historischen Folgen seiner Tat in einem völlig neuen Licht dar: Benno Ohnesorg war zwar ein völlig unschuldiges Opfer – jedoch ganz offenbar keinesfalls zufällig. Die Studentenrevolte der 68er als von der DDR mitinszenierte Epoche erscheint nicht mehr abwegig, vor allem auch in der nachträglichen Betrachtung des Untertauchens von Terroristen der RAF in der DDR.

Nicht nur Marx/Engels, sondern gerade auch die französischen Autoren des Existenzialismus haben diese Generation entscheidend geprägt. Die Erkenntnis, dass „alles sinnlos“ ist, war vermutlich eine viel größere Keimzelle revolutionären Denkens als die politischen Klassiker des 19. Jahrhunderts. Ein Thema, dass bisher kaum aufgearbeitet wurde.

Ein bewegendes Buch später Trauerarbeit und ein tiefer Einblick in die Generation der sogenannten 68er. Als Hörbuch wird es ungekürzt auf 4 CDs und 306 Minuten vom Autor selbst vorgelesen.

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