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Wie lange kann, darf sich ein Autor auf seinen unangezweifelten Meriten ausruhen, auch wenn er als Berufsschriftsteller darauf angewiesen ist, etwa jedes Jahr ein neues Buch hervorzubringen?
Mir geht es ähnlich wie vielen anderen Lesern, die „Mittelmäßiges Heimweh“ für ein eher schwaches Buch halten. Genazino hat in diesem wenig mehr zu bieten als die Perpetuierung seiner hinlänglich bekannten Großstadtgeschichten und – sprechen wir es einmal deutlich aus – gnadenlos banalen Observierungen. Da muss dann schon mal ein Ohr oder ein Zeh einfach so, sinnlos und unerklärlich abfallen, will man sich von den vorherigen Büchern (kafkaesk? Mitnichten!) unterscheiden.
Was mir als angenehm neu auffiel, waren die unterschiedlichen Tempi in den Erzählteilen: Mal scheint die Zeit still zu stehen (wenn Genazino gerade mal wieder den Alltag seziert), mal schreitet sie schnell voran, und zwar immer dann, wenn Genazino zu seinem
Haupthandlungsstrang (in einem Satz: Mann wird von seiner Frau verlassen) zurückkehrt.
Und da blinkt der alte, brillante Genazino dann wieder deutlich auf: „Beim Verlassen des Bahnhofs habe ich das Gefühl, mein Leben schreite in unangemessener Schnelligkeit voran. Ich möchte es verlangsamen, aber ich weiß nicht wie. Meine stärkste Empfindung ist, daß mich die Geschwindigkeit mißbraucht. Ich laufe hilflos neben einem fremden Tempo her, das ist merkwürdig und doch ganz wirklich.“
Fazit: Für alle Genazino-Leser und Liebhaber fortgesetzter großstädtischer Befindlichkeitsprosa geeignet; keinesfalls unterhaltsam oder erhellend und schon gar nicht spannend.