Michael Kaiser – „Die Westerwelle“

Rating: ★★☆☆☆ 

Die Wirtschaft berührt uns alle jeden Tag. Und Michael Kaiser muss es besonders gut wissen, ist er doch selber mittelständischer Unternehmer aus Köln. Und er hat das Buch „Die Westerwelle“ geschrieben.

Das ist eine sehr große „tour d’horizon“, auf die der Autor uns mitnimmt: Staatsverschuldung, Derivate, Bankenkrise und Wirtschaftswachstum, Arbeitsverpflichtung von Erwerbsfähigen, Ablehnung der Kürzung von Sozialleistungen, Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Aufhebung der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, Kritik am Finanzsektor.

Ich habe großen Respekt vor der Leistung, ein Buch zum Thema „Staatsverschuldung“ zu schreiben. Dabei geht es nicht nur um diese, sondern um eine generelle „Abrechnung“ mit der aktuellen Finanzpolitik.

Es herrschen in unserer Gesellschaft ja insgesamt krauses Gedankengut und krude Vorstellungen, was die Verschuldung von Staaten angeht – wie man gerade auch am aktuellen Beispiel Griechenlands sehen kann. Den Titelzeilen der Zeitungen kann man entnehmen, dass Griechenland nun das „Tafelsilber“ veräußern muss, und zwar an jene Gläubiger, die ihm jahrelang so gerne Kredit gegeben haben. Da darf man sich fragen, ob da nicht gar „System“ dahinter steckt? In Brasilien regiert seit 20 Jahren letztlich der IWF. So haben es die Finanzmoguln doch gerne, wenn sie die Wirtschaft ganzer Staaten selber direkt regieren und exploitieren können.

Ohnehin ist der „Fetischcharakter des Geldes“ auch heute für den gut sichtbar, der seine Informationen nicht einzig aus der BILD-Zeitung bezieht. Was soll schon großartig passieren, wenn die Aufwendungen zur Tilgung der Staatsschulden langsam die Größe des Staatshaushalts annehmen (zur Zeit verschlingt die Zinslast in Deutschland schon etwa 20% des Bundeshaushalts)? Dass es auch bei uns darauf hinausläuft, ist allen Finanzfachleuten schon lange bewusst. Nur solange in der Prozesskette noch ordentlich verdient wird, hat keiner ein Interesse, die Milchkuh sterben zu lassen.

Machen wir uns nichts vor: Die deutschen Staatsschulden werden nie zurückgezahlt werden, das ist nur eine Mär für den besorgten Bürger, damit dieser die ihm zunehmend aufgebürdeten Lasten weiterhin zu tragen bereit ist. Am Ende werden die Zähler einmal mehr auf „Null“ gestellt, der Bürger ist sein sauer Erspartes los – und der Staat beginnt erneut mit der Verschuldung. Meine Eltern haben das zwei Mal in ihrem Leben mitgemacht. Möglicherweise erlebe ich das auch noch.

Abgesehen von dem Ärger über die Findigkeit des Staates, sich stets neue Abgaben und Steuern einfallen zu lassen, kann man daher nur zu dem Schluss kommen, dass eben dieses (Finanz-) Gebaren zum System an sich gehört – und ihm somit jegliche Spektakularität fehlt, wie Aufregung unnötig ist. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen.

Die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge werden vom Autor sehr allgemeinverständlich dargelegt. Überhaupt macht die Lektüre des Buches Spaß – kein Wunder, bei einem Autor rheinländischen Provenienz. Die oft mit Bezug auf die Nachbarstädte Köln und Düsseldorf gewählten Beispiele sind auch für Nicht-Rheinländer verständlich. Das profunde Zahlenwissen und die vielen Statistiken stammen offenbar aus seiner Dissertation.

In seinem „demagogischen“ Ziel eines auch qualitativ besseren Staates bin ich ganz beim Autor, besonders beim Thema schulische Ausbildung – da kann ich mit drei Kindern ein Lied von singen!

Konsens auch was Terrorismus und den Export von angeblicher Freiheit und Demokratie betrifft! Sehr gut auch die Analyse von Entlohnung und Qualität der Arbeit. Sehr erhellend der Gedanke des geistigen Diebstahls: Wer in den armen Ländern produzieren lässt, ihnen aber nur sehr wenig vom erwirtschafteten Gewinn belässt, muss damit rechnen, dass diese sich anders bedienen.

Der Autor und ich divergieren eigentlich nur in einem Punkte: Ich meine, dass der Produktivitätsfortschritt durchaus zu einer Arbeitszeit von – sagen wir ein – 35 Stunden / Woche führen kann. Da gibt es schon seit Marx / Engels Berechnungen, wohin der Mehrwert so fließt. Ich und einige andere Idealisten vermuten, dass wir es sogar mit noch weniger Stunden locker schaffen könnten. Dann hätten wir nachmittags alle frei und könnten „angeln und jagen“ und „kritische Kritiker“ sein. Ei, das wäre doch fein!

Zum Schluss gibt Michael Kaiser ganz schön Gas. Da fällt es als Leser schwer, ihm (rechnerisch) zum Ende hin folgen zu können. Die beiden Schlusskapitel sind zu stark komprimiert. Es fehlen die anschaulichen Beispiele, die die Stärke der ersten Kapitel ausmachen.

Schön wäre ein alphabetischer Index, in dem man die vielen Themen nach Stichworten wiederfindet. Ich würde mir statt der vielen humorigen Abkürzungen auch einen Quellennachweis / eine Literaturliste wünschen. Denn trotz der sarkastischen Schreibe blinkt da immer auch viel Wissenschaftlichkeit durch. Der Mann weiß, worüber er schreibt. Als Quellen für das verwendete Zahlenmateial bedient sich der Autor offenbar beim „Wirtschaftsinstitut Kiel“ und bei offiziellen Veröffentlichungen
von Land, Bund und Kommunen und dem statistischen Bundesamt.

Vor allem aber hätte man dem Buch eine nachhaltige Endredaktion gewünscht. Die Groß- und Kleinschreibung sowie die Getrenntschreibung stören die intelligenten Ausführungen doch erheblich – aber das ist wohl einzig dem Verlag und nicht dem Autor anzulasten. Falls der Verlag einen Lektor haben sollte, was sehr zu bezweifeln ist, so würde ich diesem fristlos kündigen. Überhaupt würde man dem Autor einen seriösen  Fachverlag wünschen. Das Buch hat es verdient!

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