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Über 30 Jahre lang hat Karlheinz Geißler sich als Professor für Wirtschafts- und Sozialpädagogik mit dem Thema Zeit beschäftigt und dazu auch eine ganze Reihe von Büchern verfasst. Er ist Initiator der „Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik“ und hat mit seinen Mitstreitern im Laufe der Zeit so manches Wörtchen bei gesellschaftspolitischen Weichenstellungen der Zeit mitgeredet.
Nach seiner Emeritierung hatte er nun offenbar genug Zeit, sich mit einem ominösen Phänomen im Zeitkontinuum zu beschäftigen – der Pause. Denn, so schreibt der von ihm zitierte Walter Benjamin: „Zum Denken gehört nicht nur die Bewegung der Gedanken, sondern ebenso ihre Stilllegung.“
Doch die Pause steht den Versuchen, den Menschen und seine Arbeitskraft auf Daueraktivität zu programmieren, gewaltig im Weg. Es war die Ungeduld, schrieb Franz Kafka, „die den Menschen aus dem Paradies vertrieb und ihn daraus immer weiter entfernt.“
Der zivilisierte Mensch kennt kaum noch Ruhe, Zeiten der Muße. Langeweile ist nicht tolerabel. Kurzweilig muss das Leben sein. Und schnell. Alles Langsame wird auf die rechte Spur geblinkt. Sich Zeit nehmen, kommt Diebstahl gleich. Wer Ruhe hat, weckt den Verdacht, dass er nicht mehr gefragt ist („Ruhestand“).
Früher gab es auch im deutschen Fernsehen noch Pausen. Heute verdienen man in dieser Zeit einige Hunderttausend Euro mit Werbung. Denn Pause, das ist verschenkte Zeit, und das will sich unsere Gesellschaft zunehmend weniger leisten.
Jeder Mensch braucht Pausen. Niemand kann acht Stunden konzentriert durcharbeiten. Wer erfolgreich sein will, muss Pausen machen. Nur, wer pausiert, kann wahrnehmen, was gelungen ist. „Was ich in einer Stunde geträumt habe, ist mehr wert, als was Ihr in vier getan habt.“ (Lorenzo do Medici – noch am späten Vormittag häufig im Bett anzutreffen).
Das hat Konsequenzen für Arbeit und Lernen: Pausen zur rechten Zeit! Und zwar nicht erlaubt oder geduldet sondern als Pflicht. Denn wer Pausen, die er braucht, nicht macht, schadet möglicherweise sich und dem Unternehmen: Wer sich nicht erholt, kann nichts leisten, von Fehlern gar nicht zu reden.
Das Wesen der Pause ist die Unterbrechung, die Lücke im Kontinuum von Tätigkeit und Tempo. Gäbe es Pausen nicht, wären Theaterstücke, Kompositionen und Seminare unerträglich. Pausen bedeuten eine kurze Erlösung von der immerwährenden Betriebsamkeit. Nur wer sich lösen kann, der kann bei der Sache bleiben. Die Natur gibt den Wechsel vor: Nach Phasen der Anspannung müssen immer Phasen der Entspannung folgen. „Ich bin immer, auch im Leben, für Ruhepunkte; Parks ohne Bänke können mir gestohlen bleiben“, schrieb schon Theodor Fontane.
Dies ist vermutlich Karlheinz Geißlers kleinstes Buch – im praktischen Taschenformat – doch möglicherweise sein bestes. Hierin kulminiert all sein Wissen über die Zusammenhänge von Philosophie, Gesellschaft und Zeit. Wunderbare und treffende Zitate leiten die Kapitel ein. Ein jedes verleitet zum Nachdenken. Mit spitzer Feder beherrscht der Autor das Wortspiel, wie hier: „Wer schneller ist, ist nicht schneller am Ziel, sondern schneller am Ende.“
Fazit: Ein ideales Geschenk für gehetzte Freunde, Kunden und Kollegen – ich habe es gleich im Zehnerpack bestellt. Denn für uns alle gilt die Gleichung: Zeit = Leben.