Ferdinand von Schirach – „Der Fall Collini“

Rating: ★★★★★ 

Nach zwei überaus erfolgreichen Büchern mit Kurzgeschichten nun der erste Roman des Berliner Strafverteidigers von Schirach.

Was Fiktion und was Wirklichkeit ist, darüber schweigt sich der Autor aus. Fakt ist die Basis des Buches: Der § 50 StGB bzw. Art. 1 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum OWiG.

Letzteres sorgte dafür, dass ab dem 1. Oktober 1968 die Mordgehilfen der Nazi-Zeit nicht mehr wie Mörder , sondern nur noch wie Totschläger zu bestrafen sind. Eingefädelt hatte das offenbar ein gewisser Dr. Dreher, im Dritten Reich Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, ab 1951 tätig im Bundesjustizministerium, wo er zum Ministerialdirigenten und später Leiter der Strafrechtsabteilung aufstieg.

Den elf Landesjustizverwaltungen, den Mitgliedern des Bundestags, des Bundesrats und der Rechtsausschüsse war das wahre Ziel dieses harmlos klingenden Gesetzes nicht aufgefallen. Als die Presse den Skandal aufdeckte, war es zu spät: Was einmal als verjährt gilt, kann das nie wieder rückgängig gemacht werden. Auf diese Weise konnten viele Täter aus der Nazi-Zeit , die für Massaker und für den Tod von Millionen Menschen mitverantwortlich waren, nicht mehr belangt werden. Das Gesetz war nichts anderes als eine Amnestie.

Auch der normale Bürger wird die Konsequenzen des von Dreher neu hinzugefügten 2. Absatzes des § 50 des StGB gar nicht einschätzen können:

2) Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern.

Kleine Ursache, große Wirkung.  Um diese Gesetzesänderung aus dem Jahre 1968 entwickelt von Schirach seinen Roman, in dem der italienische Gastarbeiter Fabrizio Collini den angesehenen und scheinbar unbescholtenen deutschen Unternehmer Hans Meyer scheinbar motivlos schlachtet.

Der junge Strafverteidiger Leinen stolpert irgendwann über die wahren Hintergründe und deckt den Tatbestand sowie die seit 1968 veränderte Gesetzeslage auf, nach der SS-Sturmbannführer Hans Meyer vom Mord an italienischen Partisanen freigesprochen wurde.

Das knapp 200 Seiten umfassende Buch bietet spannende Unterhaltung und nährt einmal mehr den Zweifel am rechtlich korrekten Umgang mit Nazi-Verbrechern im Nachkriegsdeutschland.

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Eine Antwort zu Ferdinand von Schirach – „Der Fall Collini“

  1. Frank Kurz sagt:

    Das knapp 200 Seiten umfassende Buch bietet spannende Unterhaltung und nährt einmal mehr den Zweifel am rechtlich korrekten Umgang mit Nazi-Verbrechern im Nachkriegsdeutschland.

    Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach
    Meinekestraße 7 • 10719 Berlin

    Sehr geehrte Herr v. Schirach,

    Ihr Roman ist ein später aber wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung deutscher Vergangenheit.

    Eine Aufarbeitung schliesst die damals führenden Parteien als Gesetzgeber ein. In Baden-Württemberg beleuchtete das Verständnis unserer Vergangenheit der führenden Parteien die Rede des Herrn Günther Hermann Oettinger zur Beerdigung Filbingers, einem seiner Vorgänger als Ministerpräsident BW, den Hochhut als furchtbaren Juristen bezeichnete. Noch heute steht in diesem Bundesland die nach einem SS-Mann benannte Hanns-Martin-Schleyer-Halle.

    Wiki schreibt zu ihm: Am 1. April 1943 trat er als Sachbearbeiter in den „Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren“ ein. Der Verband war unter anderem für die „Arisierung“ der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich zuständig. Hier wurde er dann später Leiter des Präsidialbüros und persönlicher Sekretär des Präsidenten Bernhard Adolf.[7]

    Anfang Mai 1945, bei oder kurz vor Ausbruch des tschechischen Aufstandes, verließ Schleyer Prag und floh zu seinen Eltern nach Konstanz. Hier wurde er am 18. Juli 1945 vom französischen Militär verhaftet und kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aufgrund seines SS-Rangs als Untersturmführer blieb er drei Jahre lang in Baden interniert. Am 24. April 1948 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legte Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wurde er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft. Schleyer hatte bei seinen Angaben zur Person einen niedrigeren Dienstgrad angegeben, um das mögliche Strafmaß zu reduzieren: Aus seinem SS-Rang des Untersturmführers machte er den Rang Oberscharführer.[8]

    Zu den Zwangsarbeitern in diesem tschechischen Gebiet gehörte Gerda Weissmann Klein. Die Orginalausgabe ihres Buches erschien 1957 unter dem Titel All but my Life, in New York. Die deutschsprachige Ausgabe erfolgte 1999 bei Bleicher, Gerlingen. H.M. Schleyer wurde mit 18 Jahren, am 1.Juli 1933, Mitglied der SS, eine nach heutigem Verständnis kriminelle Vereinigung. In seiner Funktion von 1943 bis 1945 in Tschechien war er zumindest mitverantwortlich an dem Todesmarsch weiblicher Zwangsarbeiterinnen im Januar 1945. Der Nachweis seiner Mitverantwortung fehlt. Er floh zu seinem Vater, einem Richter. Von 2000 jungen Frauen überlebten grade mal 150 Frauen den Todesmarsch, darunter Gerda W. Klein.

    Die Halle wurde 1983 in Stuttgart erbaut und nach dem ermordeten Arbeitgeberpräsidenten und ehemaligen NS-Funktionär Hanns Martin Schleyer benannt. Gerda W. Klein erhielt 2010 die höchste zivile Auszeichnung durch Präsident Obama.

    Mit Dank für Ihre Arbeit begrüsse ich Sie.

    Franz Kurz
    Bergstrasse 35
    74392 Freudental
    07143 24293

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