Hans Fallada – „Jeder stirbt für sich allein“

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Immer wieder gibt es Autoren, die Jahrzehnte nach ihren ersten Erfolgen einen plötzlichen Nachruhm erleben. So auch Hans Fallada, dessen Werk zur Zeit neu herausgegeben wird.

Hinter dem Pseudonym Hans Fal­lada (geboren am 21. Juli 1893 in Greifswald,  verstorben am 5. Februar 1947 in Berlin) verbirgt sich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen.

Der vorliegende Roman wurde in diesem Jahre gleich zwei Mal als Hörbuch veröffentlicht: Einmal als ungekürztes Hörbuch,  vorgelesen von Ulrich Noethen, und einmal als Hörspiel unter der Regie von Werner Grunow mit einer Vielzahl versierter und prominenter Sprecher, wie das von Günter Naumann und Gudrun Ritter gesprochenen Ehepaar Quangel und der Kommissar Escherich, gesprochen von Hans-Peter Minetti. Wir besprechen hier zunächst das auf 2 CDs und 138 Minuten stark gekürzte Hörspiel.

Hans Fallada beschreibt in seinem Roman die tatsächliche Lebensgeschichte des Ehepaars Hampel, die er kurzerhand in Quangel umbenennt. Das Ehepaar kämpfte gegen Hitler, und zwar bewaffnet mit Postkarten.

Johannes R. Becher gab einst offenbar die Akten des Hampel-Prozesses an Hans Fallada weiter, mit der Anregung, einen Roman zum Widerstand in Deutschland zu schreiben. Fallada lehnte anfangs ab: Er habe, sagte er, selbst keinen Widerstand geleistet, sondern sich im großen Strom mittreiben lassen, und nun wolle er nicht besser erscheinen, als er es gewesen sei.

Auch Otto und Anna Quangel waren nicht von Anfang an gegen Hitler. Im Gegenteil, sie
reagierten dankbar auf den Abbau der Arbeitslosigkeit, der es Otto ermöglichte,
eine Stelle zu finden. Das ändert sich fundamental als die Briefträgerin Eva Kluge dem Ehepaar Quangel 1940 einen Feldpostbrief mit der Mitteilung bringt, dass ihr einziger Sohn Otto gefallen ist.

Anna und Otto Quangel haben sich nie für Politik interessiert. Als ihr Sohn an der Front fällt, ändert sich dies. Sein Tod erscheint ihnen nicht heroisch, sondern ganz und gar sinnlos. Der Tod des Sohnes an der Front bringt Otto Quangel zu  der Überzeugung, etwas gegen das Regime unternehmen zu müssen. Sie entschließen sich, aktiv Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten. Sie wollen andere vor dem gleichen Schicksal bewahren.

Otto besorgt sich Tinte, einen Federhalter und Postkarten. In mühevoller Arbeit schreibt er eines sonntags in ungelenken Druckbuchstaben auf eine der Karten: „Mutter! Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet. Mutter! Der Führer wird auch deine Söhne ermorden!“ Die Karte legt er auf ein Fensterbrett in einem Treppenhaus. Unermüdlich schreiben sie nun Postkarten mit Hitler-feindlichen Botschaften und verteilen sie in der ganzen Stadt.

Im Prozess stellt sich heraus, dass von den 285 abgelegten Karten nur achtzehn nicht bei
der Polizei abgegeben wurden. Otto Quangel weiß nun,  dass er mit seinen Karten kaum etwas erreicht hat. Aber er ist stolz darauf, anständig geblieben zu sein.

Unter dem Präsidenten Feisler verurteilt der Volksgerichtshof in Berlin das Ehepaar Quangel wegen Landes- und Hochverrats zum Tod. Der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofes hieß in Wirklichkeit natürlich nicht Feisler, sondern Roland Freisler.

Ende 1946 schrieb Hans Fallada diesen seinen letzten Roman, 866 Typoskriptseiten, 700 Druckseiten, in kaum vier Wochen. Seine Kritiker schreiben deshalb, es sei, lege man handwerkliche Kriterien an, ein verblüffend schlechter Roman. Kein Wunder, Falladas hatte seine Gesundheit da bereits durch heftigsten Konsum von Morphium, Alkohol, Nikotin, Schlaftabletten, Kokain ruiniert. Er starb dannauch kurz nach Abfassung des Romans im Alter von nur 53 Jahren an Herzversagen. Um die 866 Seiten des Romans auf die Laufzeit von zwei CDs zu kürzen, hat man sich auf das Wesentliche beschränken müssen.

Legt man diese Kriterien nicht an, ist dies ein großartiger Roman. Nicht als großes Kunstwerk, sondern als zeitgeschichtliche Dokument. Fallada geht es um die alltägliche Bestialität, das grassierende Denunziantentum. Er beschreibt die Deutschen während der NS-Zeit nicht als ideologisch Verblendete, sondern als rational handelnde Menschen.

Vielleicht besteht das größte Verdienst Falladas mit diesem Roman darin, die Bestialität des entfesselten Pöbels zu beschreiben – „Volksherrschaft“ ist eben keine sonderliche brauchbare Alternative zu tradierter autoritärer Herrschaft.

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