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„Patchwork-Familie“ – Flickwerkfamilie heißt das übersetzt und bedeutet nichts Anderes, als dass Paare auseinandergehen und mit anderen Partnern neue Familien gründen, Kinder inklusive.
Patchwork-Familien nehmen zu. Nicht nur im Freundeskreis und in der Nachbarschaft, sondern auch im Fernsehen, in der Regenbogenpresse und sogar im Schloss Bellevue: Das Präsidentenpaar verkörpert die „junge Republik“ und will zeigen, wie tolerant wir geworden sind.
In den Medien wird die Patchworkfamilie inzwischen zum Normalfall, ja, zum Medienidyll hochstilisiert. Der moderne Mensch soll denken, das ist alles ganz normal – wenn er sich gerade von seiner Familie trennt.
Waren Nachkommen einst ein notwendiges gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Produktionsgemeinschaft, ist heute auch der Einzelne überlebensfähig. Die kapitalistische Produktionsweise hat vor der Familie nicht halt gemacht. Nur wer sich kontinuierlich dem Optimierungsgedanken unterwirft und den Partner wechselt wie den Stromanbieter, scheint „fit für die Zukunft“ zu sein.
Wir leben im Zeitalter der Unabhängigkeit und des „anything goes“ – das verleiht dem modernen Menschen das Gefühl großer Freiheit. Er hat den Glauben an das Jenseits verloren und ist vom Diesseits besessen – das Ich muss hier uneingeschränkt glücklich sein, koste es, was es wolle. Wir meinen pro Zeiteinheit mehr erleben zu müssen, um glücklich zu sein.
Melanie Mühl, Reporterin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat
jetzt ein Buch über die Patchwork-Lüge geschrieben. Sie nennt es im Untertitel auch „Eine Streitschrift“. Sie will damit aufräumen, wie die Verluste der Scheidungsgesellschaft schön geredet werden, die bunte „Multioptionsfamilie“ samt Kindern, die zwischen Stief- und leiblichen Eltern hin und her pendeln und dadurch nur Vorteile hätten.
Melanie Mühl warnt:
„Hinter der Lüge verbirgt sich die Schönfärberei, die Idealisierung des Patchworkmodells, ohne die Schattenseiten zu beleuchten, und mit Idealisierung meine ich in erster Linie die mediale Idealisierung, sowohl im Print als auch hauptsächlich im Fernsehen. Wenn Sie sich die Vorabendserien ansehen, dann werden Sie feststellen, wie die strukturiert sind und aufgebaut sind. Was die erzählen, das ist einfach immer nur bunt und lustig und Sommerferienlagerhaft.“
In nur vier Kapiteln und auf 170 Seiten macht die Autorin eindringlich deutlich, welch immensen Schaden eine Trennung insbesonders bei Scheidungskindern hinterlässt. Das Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass es sich keinen Gegner auf der Meta-Ebene wie den „Feminismus“ oder die „Achtundsechziger“ aussucht, sondern die Bindungsunfähigen direkt angeht.
Denn die wahren Verhältnisse sind die Warenverhältnisse. Wenn Liebe und Familie zur Ware werden, dann bleiben Menschen auf der Strecke. Die Idee des kontinuierlichen Updates und Facelifting hat inzwischen auch die Strukturen unserer Gesellschaft angefressen. Permanente Veränderung ist zur Konstanten geworden.
Die neue Patchwork-Familie entspricht der Logik des Marktgeschehens. Wir sind Opfer der uns selbst auferlegten ökonomischen Regeln. Wir sind „Ich-Optimierer“ und die Kinder sind die Opfer der Ich-Optimierung.
Dass heißt nicht, dass Menschen, deren Liebe tot ist, die einander bekriegen, der Kinder zuliebe zusammen bleiben sollten. Es heißt nur, dass sie es sich nicht so leicht machen sollten. Denn Scheidungskinder wachsen mit der Gewissheit auf, dass nichts von Bestand ist. Sie verlieren ihr Urvertrauen.
Mühl bestreitet nicht, dass man sein Glück auch in einer Patchworkfamilie finden
kann. Sie ist nur nicht von vornherein die beste Lösung. Kinder wundern sich zwar, wie der Vater es mit der Mutter aushalten kann und umgekehrt. Gleichzeitig sehen sie, dass sie es miteinander aushalten, trotz allem. Ihr Streit gefährdet nicht die Fundamente. Die Familie steht für Sicherheit, Geborgenheit und Solidarität. Man hinterfragt den Anderen, aber man stellt ihn nicht in Frage.
Die Familie ist ein Teil eines Systems aus Eltern und Großeltern, Geschwistern, Enkeln, Onkeln und Tanten, Neffen und Nichten usw. Innerhalb des systemischen Ansatzes wird das Individuum u. a. als familiengeprägtes Wesen verstanden, dessen Entwicklungs- und
Handlungsmöglichkeiten durch die Geschichte der vorhergehenden Generationen,
durch überkommene Regeln, Muster und Loyalitäten stark mitbestimmt werden. Der systemische Ansatz sieht das familiäre System als Ressource, auf dem aufbauend das Kind sich entwickeln kann.
„Fehlen wir uns selbst – so fehlt uns doch alles„, lässt Goethe seinen Werther sagen. Eltern sind zu nahezu 100% die Wertevermittlungsinstanz für Kinder. Wie also sehen die kommenden Generationen aus? Irgendwann sind die Scheidungskinder von heute erwachsen und prägen das Profil einer neuen Generation von Egomanen.
Melanie Mühl hat mit dieser Streitschrift ein wichtigen Diskussionansatz zur künftigen Bedeutung der Familie geliefert.
Moin, moin Herr Heidtmann,
interessanter Beitrag, kann ich mir das gut vorstellen – nur schlimm die Erkenntnis, dass man Kinder, die in diesen Familien aufwachsen heute nicht mehr suchen muss – sie gehören stärker zum Allgemeinbild als „normale“ Familien – heute fällt man ja schon auf, wenn man nicht ein paar Seitensprünge nachweisen kann oder gar gegen Scheidungen ist – allerdings klingt „Patchwork-Familie“ sehr viel interessanter.
Nach meiner Meinung trennen sich die Familie heute auch viel zu schnell – keine Toleranz – keine Kompromissbereitschaft – „mir passt da was nicht“ und schon wird die Beziehung in Frage gestellt – man könnte auch zu dem Schluss „verantwortungslos“ kommen – es handelt sich in dem Punkt wohl eher um ein gesellschaftspolitisches Problem – die Ursachen liegen viel weiter zurück.
Nur ein Beispiel: In unserer Kindheit gab es keinen Fernseher – und irgendwann war es dann doch soweit – aber es gab nur ein Programm – als es dann mehr wurde gab es trotzdem nur einen Fernseher – soll heißen, man musste sich einigen – Familie entschied das Programm – es wurde ein Kompromiss gefunden – und sei es durch die Autorität des Vaters 🙂 – so war jedoch das ganze Leben aufgebaut, und eine Ehe funktioniert nur mit einer gehörigen Portion Toleranz und die Bereitschaft zum Kompromiss – und da schmeißt man nicht einfach die Flinte ins Korn, weil der Partner anderer Meinung ist. Nur das haben die Nachkommen (mit wachsendem Wohlstand nicht mehr gelernt – jeder hat ja schon fast seinen eigenen Fernseher – und das gilt für viele Bereiche im Zusammenleben).
Natürlich muss man nicht zusammenbleiben, wenn jeden Tag die Fetzen fliegen – ist für die Kinder überhaupt nicht prickelnd – dann lieber trennen bevor noch mehr passiert; aber …
Es bleibt die große Frage: ist es nur eine vorübergehende Geschichte oder verstärkt sich die Entwicklung noch? Wie kann man so etwas aufhalten? Wo soll das hinführen? Eine Entwicklung der Zeit? Die automatisch so kommen muss? Ich kann und will es heute noch nicht glauben!
„Eltern sind zu nahezu 100% die Wertevermittlungsinstanz für Kinder.“
halte ich für ausgemachten Unsinn; einfach mal bitte wahrnehmen, was Kinder untereinander lernen, wenn sie von Erwachsenen unbehelligt sich entwickeln dürfen
zum Beispiel was für Eisessenargumente sich Geschwister ausdenken können „enthält Vitamine“, das zeigt Erfindungsreichtum + Teamarbeit + in der Schule aufpassen und damit können die dann die verdutzten Eltern konfrontieren
Das können Sie gerne halten, wie Sie wollen.
Wenn ein Kind geboren wird, kommt es bereits mit einer festgelegten Mischung von charakterlichen, intellektuellen und körperlichen Gegebenheiten zur Welt. Diese erfahren durch Elternhaus, Kindergarten, Schule, Freunde, Kollegen usw. noch gewisse Ausprägungen.
Abgesehen von den Genen sind Eltern – zumindest in intakten Familien – dabei die primäre Sozialisationsinstanz. Ich möchte den Anteil von genetischem Erbe und sozialem Erbe hier nicht prozentuieren. Ich schrieb ja auch nicht von „Lernen“, sondern von „Werten“. Letztere haben etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Woher kommt die? Doch nicht aus der Sandkiste.