Hans Fallada – „Der Trinker“

Rating: ★★★★★ 

Selten las bzw. hörte ich eine so minutiös erzählte Geschichte des Abstiegs eines Menschen. Der Alkohol überfällt von einem Tag auf den anderen den Kaufmann Erwin Sommer. Anlass ist eine Nachlässigkeit im seinem Geschäft, durch die er einen wichtigen Auftrag verliert.

Nach einem Streit mit seiner Frau holt er ausnahmsweise eine Flasche Rotwein aus dem
Keller, die er vor einiger Zeit geschenkt bekommen hat. Als er zwei Gläser Wein getrunken hat, spürt er, wie seine geschäftlichen Sorgen schwächer werden.

Am nächsten Tag kehrt er in einem Wirtshaus außerhalb der Stadt ein. Er bestellt ein Bier und trinkt dem Beispiel eines anderen Gastes folgend sein erstes Glas Schnaps. Ab jetzt nimmt das Schicksal seinen Lauf. Natürlich versucht Sommer seinen Alkoholkonsum zunächst zu verheimlichen. Fallada beschreibt alle Finessen, mit den Trinker sich und andere zu belügen versuchen. Meisterhaft die kleinen inneren Dialoge, wenn Groß- und Kleinhirn sich streiten:

„Also, ich will von jetzt an ehrlich sein: ich kann dem Alkohol nicht sofort ganz abschwören, aber ich werde von nun an sehr mäßig trinken, vielleicht nur eine halbe Flasche pro Tag oder gar nur ein Drittel.“

Erwin Sommer stürzt immer weiter ab. Nach einer nächtlichen alkoholumnebelten Bedrohung seiner Frau landet er zunächst im Gefängnis, dann in einer Trinkerheilanstalt. Die Beschreibung dieser Unterbringung gehört zu den Glanzstücken dieses Werks. Schließlich wird Erwin Sommer für unzurechnungsfähig erklärt, entmündigt und auf Lebenszeit in eine geschlossene Heilanstalt eingewiesen.

Niemand könnte dieses schleichenden Prozess genauer beschreiben als  ein Betroffener selber: Hans Fallada verbrachte auf Grund seiner Alkohol- und Morphiumsucht die Jahre 1917 bis 1919 in verschiedenen Entzugsanstalten und Sanatorien. In den 20er Jahren verbringt er wegen Betrugs einige Jahre im Zuchthaus. 1944 holt in die Alkoholsucht nach der Scheidung von seiner Frau Anna erneut ein. Im Jahre 1945 heiratet er die ebenfalls alkohol- und morphiumsüchtige Ursula Lösch.

Das auf 8 CDs vorliegende und ungekürzte Hörbuch wird von Christian Melchert kongenial vorgetragen.

Tom Tolle verfilmte den Roman „Der Trinker“ nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf und mit Harald Juhnke in der Hauptrolle.

Dieser Beitrag wurde unter 5 Sterne, Hörbuch, Roman abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.