Jan Brandt – „Gegen die Welt“

Rating: ★★☆☆☆ 

Kumulativ, das heißt, in einzelnen Fortschritten, rezensierten wir hier diesen deutschsprachigen Debütroman, der auf knapp 1000 Seiten seinen ostfriesischen Kosmos  nur selten verlässt.

Kühe grasen auf den Wiesen, hinter den getrimmten Hecken blühen Blumen, in den Auffahrten glänzen frisch gewachste Neuwagen. In diese Welt wird Mitte der siebziger Jahre im fiktiven Ort Jericho der Protagonist Daniel Kuper hineingeboren.

Wir erleben als Leser ein von der Mitte der Achtziger Jahre bis in die Gegenwart reichendes Epos, die Adoleszenzphase eines Jungen in der ostfriesischen Provinz. Im Sommer 1983 beginnt die Erzählung um Daniel, der Sohn des Drogisten Kuper.

In eben jenem Sommer 1983 wird Daniel halbnackt und traumatisiert aufgefunden, nachdem er auf einem rätselhaft verunstalteten Maisfeld, das an jene Kornkreise anderer jahre erinnert, angebliche eine Begegnung mit Außerirdischen hatte. Jericho wird damit so schnell bekannt, wie wieder Gras über die Sache wächst. Nur Daniels Außenseiterstatus hat sich damit endgültig verfestigt; er gilt als Spinner – und das offenbar nicht zu Unrecht.

Bei einem so umfangreichen Buch, muss der Leser damit rechnen, dass es Längen hat. Wenn zudem stimmt, dass Brandt zehn Jahre an diesem Werk gearbeitet hat, wird es  Versatzstücke geben, die wie tektonische Platten gegeneinanderschieben. Ein schriftstellerisches Werk entsteht ja selten aus einem Guss, sondern eher aus einer Zusammenfügung vieler Fragmente. Und dieses Werk ist denn auch leider insgesamt sehr fragmentarisch geraten.

Auch findet sich zum Beispiel alsbald auch ein seitenlanger „trash“, wenn zum Beispiel die Damen des Ortes sich in direkter Rede beim Kaffeekränzchen extemporieren.

Schön hingegen das Modul um den Konfirmandenunterricht mit agnostischen Kindern und eines darob verzweifelnden Pastor.

Ab dem zweiten Kapitel (S. 214) geschieht nun für gut 150 Seiten etwas Ungewöhnliches: Brandt erzählt – optisch getrennt durch waagerechte Doppelbalken – zwei Geschichten parallel. Das ist zugegeben etwas mühsam, weil sich der Leser entscheiden muss, ob er die obere oder die untere Geschichte kontinuierlich verfolgen will – beide gleichzeitig ist schwierig.

Lokführer Walters triste Lebensgeschichte wird unter dem Doppelstrich monologisch referiert, während oben die eigentliche Handlung weiterläuft, in der aufgestaute Aggressionen der Dorfjugend brutal gegen das nächststehende schwächste Glied  der Kette gerichtet werden. Die Geschichte des Lokführers ist dabei überaus gelungen und steht einer Lenzschen Erzählung in nichts nach.

Im letzten Viertel des Buches dann einseitige Textfragmente und danach Spielereien mit ein- und ausblendenden Graustufen des Textes.

Überhaupt erfordert ein Buch Konzentration, wenn da verschiedene Textsorten wie Briefe, Plakate und Werbebroschüren eingeflochten sind. Es beginnt gleich auf den ersten Seiten mit einem anonymen, handschriftlich ergänzten Schreibmaschinenbrief an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er datiert vom 9. August 1999 und warnt den Regierungschef vor einer außerirdischen Invasion, „die am 19.9. 1999 in Jericho beginnen soll“.

Ein durchgehendes Sujet des Buches ist Beschreibung der rohen, brünftigen bis sadistischen Verhaltensweisen der heranwachsenden männlichen Jugend auf dem Lande. Dieses weit verbreitete aber selten so detailliert beschriebene Phänomen der Adoleszenz wird in der Realität oft unterschätzt. Hier endet es mit dem Freitod eines Jungen, eines Außenseiters, an dem seine Klassenkameraden letztlich Schuld tragen.

Doch es gibt auch Verletzte und „Kollateralschäden“. Eine längere Episode beschreibt das durch Drogen und Death Metal geprägte suizidale Ende weiterer Klassenkameraden.

Eine weitere Episode beschäftigt sich mit der NPD, andere mit Drogenkonsum und einem Daniel Küper, dem so nichts recht zu gelingen scheint – man ist doch manchmal arg an den bekannten Buchtitel des Freiherrn von Eichendorff erinnert.

Literarisch genügt das Buch mE nicht den Ansprüchen, um für einen Buchpreis in Frage zu kommen, auch wenn der Autor sein Handwerk grundsätzlich beherrscht und ihm einzelne Passagen durchaus gelungen sind. Käufer und Leser sind einmal mehr der Werbekampage seines Verlages ausgesessen.

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2 Antworten zu Jan Brandt – „Gegen die Welt“

  1. Heike sagt:

    Hallo, ich bin schon sehr gespannt auf die Rezension. Ich habe das Buch im November 2011 gelesen und es hat sich mir leider nicht erschlossen.
    „Die hellen Tage“ ist, seit ich es gelesen habe, eines meiner Lieblingsbücher, in dem es ebenfalls um Jugendliche geht, wie sie ihr Leben meistern. Eines der schönsten Bücher, in meiner Sammlung.
    Viele Grüße
    Heike

  2. Nun ja, so ein dickes Buch, das braucht Zeit. Ich ergänze deshalb in diesem Falle die Rezension ständig – ein Vorteil des Mediums Internet. Auch schwankt mein Urteil noch zwischen drei und vier Sternen.

    Erschreckt hat mich sadistische und völlig bekloppte Landjugend. Vielleicht, weil das noch einmal ein Schlaglicht auf meine eigene Jugend auf dem Lande wirft. Wie viele Male hätte das schief gehen können. Offenbar hatte ich einen guten Schutzengel.

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