R. Joyce – “Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry”

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Es scheint, dass sog. „Pilgerreisen“ literarisch im Trend sind. Bereits im Jahre 1993 erschien Mark Wallingtons Roman „Der Mann auf dem Fahrrad“ („The Missing Postman“). In Deutschland begab sich Hape Kerkeling auf Schusters Rappen. Und auch Jonas Jonassons „Hundertjähriger“ ist ein großer Erfolg.  Und gerade ist Julian Barnes Roman „Vom Ende einer Geschichte“ erschienen.

Harold Fry ist 65 geworden, seit einem halben Jahr pensioniert – nach 45 Jahren als Vertreter einer Brauerei nun im Ruhestand. Nie ist er groß aus seinem Dorf Kingsbridge herausgekommen. Seine Ehe mit Maureen ist in die Jahre gekommen. Seine Frau meckert an ihm herum und putzt hinter ihm her. Seit er nun ganz zu Hause ist, stört er ganz offensichtlich.

Da kommt ein Brief seiner ehemaligen Arbeitskollegin Queenie Hennessy aus Berwick-upon-Tweed in Schottland. Sie liegt im Sterben. Er schreibt Queenie einen kurzen Brief zurück und geht los zum Briefkasten. Und dann zum nächsten. Und weiter. Er zögert, den Brieg einzuwerfen. Und dann läuft Harold Fry einfach immer weiter. Schließlich läuft er zu Fuß los, um seine totkranke Freundin noch einmal zu sehen.

Von südenglischen Kingsbridge in Devon bis an die schottische Grenze sind es fast 1.000 Kilometer. In seinen Segelschuhen, ohne Training, ohne Handy und später auch ohne Kreditkarte pilgert Harold zu Queenie. Er schreibt jeden Tag Postkarten, damit Queenie auf ihn wartet – und so am Leben bleibt.  Er fest glaubt, dass sein Fußmarsch sie wieder gesund werden lässt.

Während des Gehens – und aus keinem anderen Grunde pilgern Menschen – setzt er sich mit seinem bisherigen Leben auseinander. Er erinnert sich beim Laufen an seine schwierige Kindheit, an die erkaltete Liebe zu seiner Frau Maureen, seinen ihm entfremdeten Sohn David, zu dem er nie eine emotionale Bindung aufbauen konnte.

Im letzten Drittel wird es dann etwas kitschig: Die Medien werden auf Harold Fry aufmerksam, immer mehr sog. Pilger schließen sich ihm an, auch seine Frau Maureen reist ihm nach.

Er selber ist am Ende seines Fußmarsches nach 87 Tagen nicht nur körperlich, sondern auch emotional arg mitgenommen – keine Reise um die Welt, eher eine zu sich selbst: Nach und nach erfährt der Leser Details aus der Vergangenheit des Harold Dry, die ihn zu dem Menschen gemacht haben, der er ist. Und wenn er auch Queenie nicht retten kann, so doch seine Liebe zu Maureen.

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