Tomáš Sedláček – “Die Ökonomie von Gut und Böse”

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In der Natur gibt es weder Gut noch Böse – dies sind von Menschen geschaffene moralische Kategorien.

Und weil der Mensch selber Teil der Natur, ist auch er sui generis weder gut noch böse. Für Aristoteles ist der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen, ein „Zoon politikon“.  Für Platon ist der Mensch nur deshalb „gut“, weil es für ihn lohnt. Als – zum Teil – verstandgeleitetes Wesen hat er die Möglichkeit, sich an den von ihm selber entwickelten Werten zu orientieren – und ist somit immer beides, gut oder böse, ganz nach Gusto.

Wirtschaftssysteme sind Menschenwerk. Somit ist es auch erlaubt, über Gut und Böse im Zusammenhang mit Ökonomie nachzudenken. Tomáš Sedláček ist Chefvolkswirt bei der Tschechoslowakischen Handelsbank AG (ČSOB), der größten tschechischen Bank. 2009 wurde er Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats, der den tschechischen Regierungschef berät. Zudem lehrt er an der Karls-Universität Prag Wirtschaftsgeschichte und -philosophie und arbeitet als Kolumnist.

Sedláček holt weit aus: Sein Buch ist eine Reise durch die gesamte Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, vom Gilgamesch-Epos über das Alte Testament zu Thomas von Aquin und Adam Smith, über den Film Matrix bis hin zur Wall Street und zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise.

Er ist überaus belesen und darüber hinaus auch noch „bibelfest“: Altes und Neues Testament werden ökonomisch untersucht, und er beschreibt, wie die drei Weltkirchen (Judentum, Islam, Christentum) zum kapitalistischen Wirtschaftssystem historisch je auf ihre Weise beigetragen haben: Wer Erfolg im Leben hat, dem ist der monotheistische Gott offenbar wohlgesonnen!

Bereits im 4500 Jahre alten Gilgamesch-Epos entdeckt er die „unsichtbare Hand“, die später von Adam Smith formuliert wurde – und der unsere Gegenwartspolitik offenbar immer noch nachhängt: Geht es den Reichen gut, bleibt für den großen Rest eines Volkes auch immer noch genug über – und sei es nur Arbeit. Auch Josephs Ratschläge an den Pharao deutet er als Vorläufer einer keynesianischen antizyklischen Fiskalpolitik. Auf solche gedanklichen Konstruktionen kommt nicht jeder – doch sie erklären manches. Seine Hauptmaxime: «Unser Weltbild krankt daran, dass wir das Paradies immer nur in der Zukunft sehen».

Dieses Buch gehört zu den aktuell besten zu Thema Ökonomie. Warum? Eben weil es ein philosophisches Buch ist, weniger ein ökonomisches! Und genau das fordert der Autor zum Ende seines Buches: Eine neue „Metaökonomie“ als interdiszipläres Teil der Sozialwissenschaften und eine Abkehr von der Nutzenmaximierung und abstrakten Mathematisierung der Welt. Dies jedoch ist auch ein Abschied von ceteris paribus.

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