Daniela Dahn – „Wir sind der Staat!“

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Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus – aber sie kehrt nie zu ihm zurück.

Die Mächtigen haben dem Volk zwar immer wieder eingeredet, es sei der Souverän, gewesen ist es das jedoch noch nie. Nicht die Bürger oder Volksvertreter, sondern vielmehr Banken und Konzerne lenken heute zunehmend die Geschicke – nicht nur – des deutschen Staates. Macht beruhe immer auf wirtschaftlicher Überlegenheit. „Wo kein Haben, da ist kein Sagen.“

Des Bürgers einzige politische Aufgabe sei es, alle paar Jahre zur Wahl zu gehen, aber dann sehe er von seinem Abgeordneten nichts mehr, und dieser sei ihm auch nicht rechenschaftspflichtig.

„Die größte Partei ist die der Nicht-Wähler. Diese aber gelten nicht als das, was sie sind: Nein-Stimmen.“

Politiker in ihrem Fraktionszwang sind nicht unabhängig und vertreten ganz andere Interessen als die der Wähler. Volkssouveränität war für sie von Anfang an eine staatserhaltende Fiktion. Die einst fürstlichen Rechte wurden lediglich in Rechte des Staates verwandelt – und das Volk wurde zum Gegenstand der Staatsherrschaft. „Die Parteien, die keineswegs der Staat sein sollten, machen sich, entzogen dem Volksleben, selber zum Staat“, befand Karl Jaspers bereits 1958 anlässlich der Überrreichung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.

Die Begrenzung der Mitbestimmung auf alle vier Jahre stattfindende Wahlen wird von vielen nicht mehr als zeitgemäße Demokratie akzeptiert. Daniela Dahn favorisiert deshalb die Idee einer Räterepublik mit gebundenen Mandaten und der Möglichkeit, den Politiker abzusetzen, wenn er sich nicht genug engagiert.

„Die einst geforderte Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat genügt nicht mehr. Heute geht es um die Pflicht des Staates zum Gehorsam gegen den Bürger.“

Angesichts eines immer brüchiger werdenden sozialen Friedens müsse die Politik wieder das Primat über die Wirtschaft gewinnen. Wie das geschehen kann und durch wen – darüber lernt man in dem Buch eine ganze Menge.

So plädiert die Autorin in ihrem Buch für mehr Mitbestimmung der Bürger, für eine zwingende Gemeinwohl-Orientierung in Politik und Wirtschaft und für demokratische Lösungen, die über Deutschland und auch über Europa hinaus gehen sollen. „Der Wohlfahrtsstaat wird nur kommen, wenn wir unser Wohl nicht fahren lassen.“

Die wichtigste Aufgabe des Staates sei es bisher immer gewesen, die Eigentumsordnung zu sichern und zitiert Augustinus: „Nimm das Recht weg – was dann ein Staat noch anderes als ein große Räuberbande.“ Nicht zufällig leite sich das Wort „privat“ aus dem Lateinischen privare = (be-) rauben ab. Für sie ist nicht nur der zur Marktwirtschaft geschönte Kapitalismus am Ende, sondern auch das politische System, das ihn nicht bremsen kann.

„Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln“, zitiert die Autorin Karl Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm der SPD im Jahre 1987.

Von Gustav Heinemann übermittelt sie den Satz: „Sieht man denn nicht, dass die dominierende Weltanschauung unter uns aus drei Sätzen besteht: viel verdienen, Soldaten, die das verteidigen, und Kirchen, die beides segnen.“

Ein mutiges, intelligentes und zukunftsweisendes Buch, ein Muss für alle Politikverdrossene: Wir sind die 99%!

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