Cess Nooteboom – „Briefe an Poseidon“

Rating: ★★★★★ 

Wir leben in einer gottlosen Welt, doch nicht jeder will das wahrhaben. Mancher sucht heute wieder Kontakt zu Mysterien und Gottheiten. Doch da diese jedoch nie antworten, bleiben es auch bei Cees Nooteboom Monologe, die er an das Göttliche richtet.

Cees Nooteboom vermengt in diesem kleinen Buch den antiken Mythos mit der Rationalität naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Aus dieser Dialektik heraus entstehen kleine, meist einseitige Miniaturen, in denen das ewige „Faust“-Thema anklingt: „Was ist es, was diese Welt im Innersten zusammenhält?“

Cees Nooteboom liebt das Meer, die graue heimische Nordsee ebenso wie das leuchtend blaue Wasser um seine Ferieninsel Menorca. So verfiel er in einem Anflug „ionischer Energie“ darauf, seine maritimen Betrachtungen dem zuständigen Meeresgott Poseidon zu widmen. Dass mit Antwort nicht zu rechnen sei, gebe ihm ein „Gefühl phantastischer Freiheit“.

Nooteboom hält Poseidon die moderne Naturwissenschaft vor: „(…) wir können alles, oder fast alles, sogar das, was früher nur ihr allein konntet.“ Und schließlich muss sich der Herr der Meere auch fragen lassen, wie es denn mit seinen Kenntnissen der „Philosophie und leider auch Theologie“ bestellt ist. Für alle Fälle erläutert der Autor dem Dreizackschwinger noch schnell die Trinität.

Es gibt keinen Plot, keine durchgehende Erzählung, in dem knapp 170-seitigen Band, dem noch etwa 70 Seiten Anmerkungen und Motivnachweise beigegeben sind. Den Hauptteil bilden lose Reflexionen, Erinnerungen, Beobachtungen, Berichte über die eigentlich unfassbaren Wundersamkeiten eines Alltags, der mal auf der spanischen Insel Menorca, mal im europäischen und außereuropäischen Ausland angesiedelt ist.

In diese sind 23 namentlich adressierte Briefe an Poseidon, den griechischen Meeresgott, eingebettet, in denen dieser aufgefordert wird, mal wieder Stellung zu dieser Welt zu beziehen. Poseidon wird darin auch wegen seiner überlieferten Taten vom Autor belehrt und häufig auch getadelt – die Rache für eine von der christlichen Lehre versauten Kindheit, wie wir sie auch von Marten ‚t Haart kennen?

Die Dinge, die Nooteboom vor allem beschäftigen, sind die Mythen, die sich um die vielfältigen Erscheinungsformen des Poseidon ranken, „meist keine angenehmen“. Die Wiedererzählungen von Poseidon-Episoden aus der Homerschen „Ilias“ dokumentieren eine in ihrem Mitteilungsbedürfnis auch aufdringliche Belesenheit.

 

Dieser Beitrag wurde unter 5 Sterne, Essay abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.