Rating:
Ein nur schwer zu fassendes und keinesfalls leicht zu lesendes Buch. Es geht um die Liebe, und es geht um Lebensbilanzen. Wir erleben alternde Männer und Frauen, die angesichts ihres Alterns oder ihres nahenden Endes oder wegen einer Frau / eines Mannes zur Lebensklitterung und zu nahezu jedem Kompromiss bereit waren und noch sind. Es ist ein Buch, das vermutlich nur Menschen im letzten Lebensdrittel ansprechen wird.
Es sind melancholische, bewegende Geschichten und immer geht es um „Hoffnung und Entscheidung“, Illusionen. Wir erleben Männer und Frauen, die sich selber etwas vormachen. Immer geht es um das flüchtige und fragile Glück. Dabei sind die Frauen oft stärker als die unentschlossenen, schwachen Männer, sie sind selbstbewusst, resolut, eigenwillig, dominant. Diesen Versuch der Neuordnung der Geschlechterrollen kennen wir schon seit Schlinks erstem Werk.
Schlink erzählt uns vor allem aber von verpassten Chancen. „Sie hätte, als sie ihn besuchte, noch ein bisschen bleiben, das Radio anmachen und mit ihm tanzen sollen.“ Das Ende bleibt bei allen sieben Geschichten offen, nicht ganz ohne Hoffnung aber auch nicht mit viel Hoffnung.
„Liebe“, lässt er seine letzte Protagonistin sagen, „ist keine Sache des Gefühls, sondern des Willens.“
Die Geschichten im Einzelnen:
Nachsaison: Er, ans Alleinsein gewöhnt, lernt sie, reich, ebenfalls allein, kennen.
Die Nacht in Baden-Baden: Er ist treu, sie ist krankhaft eifersüchtig, er erkennt, was frei sein bedeuten kann.
Das Haus im Wald: Er Hausmann, ein Kind, er versteckt seine erfolgreiche Frau vor der Welt.
Der Fremde in der Nacht: Ein Dritter hat seine Frau „verkauft“ und muss jetzt fliehen, weil sie zurückgekehrt ist.
Der letzte Sommer: Er, schwer krank, will noch einmal einen Sommer in Kreise seiner Lieben erleben, es misslingt.
Johann Sebastian Bach auf Rügen: Er will seinen alten Vater verstehen.
Die Reise nach Süden: Eine alte Dame trifft ihre Jugendliebe wieder.
Bernhard Schlink hat alle sieben Geschichten inhaltlich wie sprachlich höchst sensibel beschrieben. Dafür gebührt ihm hohe Anerkennung. Das kann man nicht erfinden. Das kann man nur – selber – erfahren.
Die Themen für Bücher liegen meist in der Biographie ihres Autors begraben. In wieweit Schlink sich hier selbst preisgibt, darüber mag man spekulieren. Uwe Tellkamp sagte einmal, man könne das mit einem Baumstamm vergleichen, bei dem im inneren Kern der Autor, die Jahresringe die fiktionalen Schutzringe seien.
Schreiben ist für fast alle Autoren Selbstreflexion. Schlinks Protagonisten sind nicht von materiellen Sorgen gebeutelt, sie sind Schriftsteller, Musiker, Juristen, Professoren. Oft haben die Geschichten einen Bezug zu den USA. Bernhard Schlink wurde 1944 geboren. Er ist studierter Jurist, lebt in Berlin und New York. Schreiben ist Lebensbewältigung.