Heike Groos – „Ein schöner Tag zum Sterben“

Rating: ★★★★★ 

(Unter dem Pseudonym „apicula“ rezensiert Sabine Kilian als „Top-Rezensentin“ bei amazon. Ich freue mich Sie als Gastrezensentin erstmals hier begrüßen zu dürfen.)

Es ist schon lange her, dass ich Heike Groos‘ Buch zum ersten Mal gelesen habe. Es war zu dem Zeitpunkt, als mein Mann gerade in Afghanistan war. Meine Motivation ihre bedrückenden und sehr berührenden Erlebnisse zu lesen bestand darin zu erfahren, was dort mit den Menschen vorgeht und welche nicht zu benennende Last – die man aus unserer Tageschschau-Perspektive nicht ansatzweise erahnen kann – ihnen aufgebürdet wird. Ich habe das Buch neulich noch einmal auszugsweise gelesen und war wieder wie gefangen von Heike Groos‘ Erlebnissen.

Sie schildert eindrücklich, authentisch und sehr nüchtern wie ihre Ehe in die Brüche ging, wie sich durch ihre Abwesenheit ihre Familie verändert hat. Ein gar nicht so ungewöhnlicher Prozess, den auch andere Familien bei denen ein Elternteil sich für lange Zeit im Ausland befinden, beobachten werden können. Doch ihre Abwesenheit hat sie sich in dieser Art nicht ausgesucht. Zumindest nicht für so lange, wie ursprünglich gedacht. Es kommt eben immer mal anders als man denkt. Und vor allen Dingen weiß man dort im fremden Land und im Einsatz als Sanitäter oder Medizinisches Team nie, was überhaupt noch so kommen wird; ob überhaupt noch was kommen wird!? Darum – so ungefähr kam es zu dem Titel des Buches – hat ein Kollege von Heike Groos den Spruch mit dem „schönen Tag zum Sterben“ erfunden.

Eindrücklich wird dieses abrupte Ende geschildert, als es um den Anschlag auf ihre Kameraden geht. Kameraden mit denen man am einen Abend noch ein wenig feiert, sich nett verabschiedet, weil es für sie nach Hause geht – und am nächsten Tag sind sie tot. Bombenanschlag auf dem weg zum Flughafen. Nun muss man sie bergen diese Kollegen. Sie beerdigen, zumindest versuchen einen angemessenen Heimtransport zu organisieren. Mit den Kameraden sprechen und auch mit den Hinterbliebenen, die man vielleicht kennt, weil man sich auf so engem Raum in so langer Zeit doch ganz gut kennenlernt. Und dann ist man selbst – ich meine damit z.B. einen Sanitäter oder Arzt – ja auch noch da und will, besser sollte das alles verarbeiten. Wenn man vielleicht irgendwann mal Zeit hat. Hat man nicht? Auch egal, dafür ist später sicher mal Zeit. Denkt man. Verdrängt man. Aber irgendwann muss man wohl verarbeiten. Und schiebt das Verarbeiten vor sich her, bis nicht mehr geht. Gar nichts mehr. Nicht einmal den Arm bewegen, oder aus dem Stuhl aufstehen.

Ich fand das wahnsinnig gut beschrieben, wie dieser Prozess bei Heike Groos vonstatten ging. Bei Heike Groos, so habe ich ihre Geschichte aufgefasst, war es sehr spät als sie mit Verarbeiten begann und auch erst nachdem sie bei der Bundeswehr den Dienst quittiert hat, mit Sack und Pack und Kindern nach Australien ausgewandert ist. Dort einen Menschen zu finden, dem sie ihre Geschichte nach und nach erzählen durfte – einem Menschen der einfach nur zuhört – das war ihre Befreiung und für sie Heilung. Einen Menschen, der nicht auf Sensationsgier aus ist, sondern der die Last abnimmt, sie zumindest teilt. Als Leser fühle ich mich wie dieser Mensch, der zuhört. Mitfühlend, interessiert und manchmal mit einem schlechten Gewissen, weil mich diese vielen Ungerechtigkeiten furchtbar aufregen.

Das Buch erzählt ausschweifend, oft in wunderbaren, oft in dramatisch banalen Details ihre Erlebnisse. Wahnsinnig viel Kritik an der Bundeswehr scheint hier auch noch durch. Inwiefern sich die „Politik“ Frau Groos` Erlebnisse zu Herzen nimmt, bleibt unklar. Immerhin schildert sie diese Situationen, wo man als „Soldat im Einsatz“ der Presse von den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort erzählen will und nicht darf und wenn doch, dann welche für Konsequenzen das für sie hatte. Sehr bescheiden, was man da liest. Da darf einem wohl zu Recht der Kragen platzen! Ich spreche von mir, als Leser.

Zwischen den Zeilen gelesen bedeutet dieses Totschweigen und die geschönten Presseberichte, dass wir, die wir diesen UN-Einsatz, der zuweilen ja schon Krieg genannt wird, aus der Ferne beobachten, so oder so nicht, nicht jetzt und auch nicht später einmal ein Buch über Fakten informiert werden oder gar etwas über echte Einsätze der Truppen in Afghanistan lesen oder hören werden.

Es ist und bleibt jedes einzelne Buch das ich zum Thema Afghanistan-Einsatz ein wichtiger Beitrag sich ein Bild von den Dimensionen dieses nutzlosen Einsatzes zu machen. Wenn mir jemand nach all diesen Lektüren noch erzählen will, dass unser Friede dort am Hindukusch verteidigt wird, dann muss er mir schon mit handfesten Argumenten oder Beispielen kommen. Ich mag nicht mehr glauben. Dieses Buch hat seinen Teil dazu beigetragen. Nicht nur, weil einfach nicht so recht klar wird, was man dort in Afghanistan so recht bewirken will, sondern auch, weil man erkennt, dass es ein blödsinniges Gewaltprojekt ist, bei dem eine Menge Menschen zu seelischen Krüppeln gemacht werden – und schlimmer noch: Immer wieder welche tatsächlich ahnungslos aufbrechen die dann tatsächlich diesen zitierten schönen Tag zum Sterben erleben.

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Eine Antwort zu Heike Groos – „Ein schöner Tag zum Sterben“

  1. Apicula sagt:

    Dass Heike Groos‘ Erfahrungen keine Erfindung oder „Schauspiel“ sind, wie ich einigen Vorwürfen bei den amazon-Rezensenten mit großem Schrecken entnommen habe, will ich hier einen link zu einer Fernsehreportage des ZDF einfügen:

    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/#/beitrag/video/1159198/Zurück-aus-Afghanistan (ZDF Mediathek)

    Ich habe schon bei den Büchern von Achim Wohlgetan (er schreib seine Erfahrungen als Bundeswehrsoldat in mittlerweile 2 Büchern nieder) bass gestaunt mit welcher Vehemenz irgendwelche Leute versuchen diese persönlichen Erfahrungen in den Dreck zu ziehen. Man muss kein Hellseher sein um zu erkennen, aus welcher Ecke die Anfeindungen gegen diesen Ex-Bundeswehrsoldaten kommen …
    … bei Heike Groos hat es mich jedoch erstaunt, dass auch sie so ins Kreuzfeuer genommen wird. Das Buch ist unbedingt lesenswert – und ich kann nicht anders, als mich für Leute, die sie als Person wegen ihrer Offenheit so repektlos als Märchentante abtun, zu schämen!

    Auf meinem Blog gibt’s aktuell übrigens zwei sehenswerte Beiträge über die Polizie-Missionen in Afghanistan:
    http://apiculis.blogger.de/topics/Afghanistan/

    Herzliche Grüße an ALLE!
    Sabine K.

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