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Mit Empfehlungen von Freunden ist das immer so eine Sache. Nicht immer komme ich zu dem gleichen (guten) Urteil über ein Buch wie sie. So auch mit diesem von Freund M. hoch gelobten Roman. Im Nachhinein erfahre ich, dass das Buch in seinem Fall eine ganze Menge mit „Heimat“ zu tun hat. Treichel und M. waren lange Jahre Kommilitonen an der FU, man war zwar nicht befreundet, aber doch gut bekannt. Man saß in der gleichen politischen Truppe, arbeitete im gleichen Forschungsprojekt und ist auch mal gelegentlich gemeinsam ins Hallenbad gegangen. Deshalb findet M. in Treichels Roman einiges wieder, was ihn an seine Westberliner Zeit erinnert. Darüber hinaus mag M. Treichels plaudernd-ironischen Erzählstil.
Doch was, wenn man „keinen Koffer in Berlin“, nicht in Berlin studiert hat? Dann kommt man zu dem Schluss, dass das Sujet von Hans-Ulrich Treichels neustem Roman „Grunewaldsee“ weder neu noch besonders originell ist. Denn ungezählt sind die Bücher, die wir über den Unwillen oder die Unfähigkeit des modernen Mannes zur Reife bereits lasen.
Und „Grunewaldsee“ ist in der Tat, wenn man von dem Ausflug nach Andalusien absieht, ein Berlin-Buch (auch wenn der Grunewaldsee selber eine sehr untergeordnete Rolle in diesem Roman spielt). Treichel schildert Kreuzberg in der Vor- und Wende-Zeit, gibt das Kreuzberger (Studenten-) Lebensgefühl wider. Und selbstredend ist „Grunewaldsee“ auch ein Buch über die (unglückliche) Liebe.
Die Geschichte um Paul, der im Berlin der 80er Jahre auf einen Referendarplatz wartet, ist schnell erzählt. Verliebt in Maria, bei „ihrer ersten Begegnung waren sie beide Mitte Zwanzig“, einer verheirateten attraktiven spanischen Medizinstudentin, die er als (Aushilfs-) Deutschlehrer in Malaga kennengelernt hat, kehrt er nach Berlin zurückgekehrt und wartet auf sie. Doch als sie dann endlich nach Jahren kommt, ist alles ganz anders.
Protagonist Paul bzw. Hans-Ulrich Treichel überzeugen durch die Ausgestaltung einer ereignislosen Existenz ohne jede zukunftsweisende Entscheidung, erwachsen zu werden. „Ausschlafen können und doch keine Angst vor der Zukunft haben müssen. Ausschlafen können und doch kein Universitätsprofessor sein.“, lässt Treichel seinen Paul lakonisch-sarkastisch sagen.
Und so plätschert das Leben stattdessen in der unendlichen Seichtigkeit des Seins auf 236 Seiten dahin wie der Grunewaldsee. Treichel bzw. sein Protagonist Paul plaudern und der Leser fühlt sich so manches Mal ein wenig an die Naivität eines Voltaireschen Candide erinnert.
Fazit: Ein leichtes, ein leicht zu lesendes Buch, sicher auch Stück weit autobiografischer Rückblick in die Berliner Studentenzeit eines heutigen Universitätsprofessors in Leipzig, besonders aber geeignet für Berlin-Nostalgiker der 80er Jahre. „Im Wald und über dem Wasser war es jetzt vollkommen still. Nur das Rauschen von der Avus war noch immer zu hören.“