Uwe Böschemeyer – „Du bist viel mehr“

Rating: ★☆☆☆☆ 

Auf dem Umschlag schlüpft gerade ein schwarzer Falter aus seinem Kokon. Das Bild soll uns wohl sagen, dass der dunkle Moment, in dem für die Raupe das Ende gekommen ist, derselbe ist, in dem der Schmetterling zum ersten Mal das Sonnenlicht erblickt.

Und in der Tat verspricht auch der Untertitel nichts weniger als „Wie wir werden, was wir sein könnten.“ – immerhin im Konjunktiv, wo doch der Titel im Indikativ steht: „Du bist viel mehr“. Ziel des Autors ist es, aufzuzeigen, wie der Leser – „in den Grenzen seiner typologischen Möglichkeiten – seine Persönlichkeit weiterentwickeln und zur Einzigartigkeit gelangen kann.“

Mancher erinnert sich vielleicht an die eigene Kindheit und die obligatorische Frage von Onkeln und Tanten „Was willst Du einmal werden?“, die leider wohl nur sehr wenige von uns mit „Wieso werden, ich bin doch schon!“ beantwortet haben. Und vielleicht reagiere ich deshalb heute auf Versuche von Autoren und selbst ernannten „Lebensratgebern“ so allergisch, weil sie mir alle unterschwellig zu unterstellen scheinen, ich hätte bisher nicht das „Richtige“ aus mir und meinem Leben gemacht. Das nenne ich anmaßend.

Der Versuch, Menschen in Typenklassen zu unterteilen, ist so alt wie die Menschheit. Schon Hippokrates unterschied um 460 Jahre vor unserer Zeitrechnung vier Grundtemperamente: Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker.

C. G. Jung hat knapp 2500 Jahre später im Jahre 1921 auch die Persönlichkeitstypen untersucht und in Denk-, Fühl-, Intuitions- und Empfindungstyp unterschieden: extrovertiert/selbständig, selbstständig/introvertiert, introvertiert/abhängig, unselbständig/extrovertiert.

Andere Autoren wie Alessandra/O’Connor kommen zu ähnlichen Unterscheidungen: Direktor, Unterhalter, Beziehungsmensch, Denker.

Neuere Ansätze geben sich wissenschaftlich. STRUCTOGRAMM unterscheidet die Menschheit (insbesondere die Subspezies Kunde) in grün, blau und rot.

Der studierte Theologe und promovierte Psychologe und Inhaber des „Hamburger Instituts für Existenzanalyse“, Uwe Böschemeyer, versucht es in seinem Buch nun mit neun Typen: Reformer, Helfer, Erfolgsmensch, Romantiker, Beobachter, Loyaler, Glückssucher, Starker, Ursprünglicher.

Neugierig geworden durch die Verlagsinformation hatte ich hohe Erwartungen an diesen Titel. Doch letztlich bietet dieses Buch nicht mehr und nicht weniger als alle bisherigen Versuche, die Menschheit zu klassifizieren. Dabei weiß es der Autor selbst nur zu gut. Seine abschließenden 30 Leitlinien zur Erweiterung der Persönlichkeit beginnt er mit den Sätzen: „Nicht Typen sollen wir sein, sondern Originale werden.“ – „Kein Mensch ist nur ein Typ, der nach einem bestimmten Muster leben muss. Jeder ist auch Person, also frei und verantwortlich.“

Ganz gleichgültig, wie viele Typen wir auch bemühen, jeder Versuch, die Menschheit in (Verhaltens-) Kategorien einteilen zu wollen, muss zwangsläufig fehlschlagen. Wir alle sind Individuen und damit einzigartig. „Du bist viel mehr“. Wie schon Goethe schrieb: „Getretner Quark, wird breit, nicht stark.“

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