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ISBN: 3829107048
Liest oder hört man Goethes „Wahlverwandtschaften“, dann ist man überrascht, wie zeitgemäß dieser Roman nach Inhalt und Sprache ist. Vielleicht ist es Goethes „modernstes“ Werk. Oft merkt man besonders in diesem Roman, wer bei und vom wem gelernt hat: Kaum zu unterscheiden der ca. 150 Jahre jüngere Thomas Mann – besonders dann, wenn in beiden Fällen von Gert Westphal vorgelesen wird (Thomas Mann hat seinen Goethe und seinen Fontane ausgiebig gelesen).
Die Geschichte handelt, kurz gesagt, von einer „Ménage à quatre“ und könnte nach moderner Diktion durchaus auch in die Kategorie „Herz-Schmerz“ à la Courths-Maler eingereiht werden – wäre da nicht der naturwissenschaftlich versierte Geheimrat am Wirken gewesen, der am Beispiel der damals noch gering entwickelten Erkenntnisse der Chemie diese, durchaus interessanter als auf den ersten Blick erscheinen mag, auf menschliche Verhaltensweisen applizierte.
Denn wer vermag schon wirklich zu erklären, weshalb sich der eine Mensch zu dem anderen hingezogen fühlt oder eben auch nicht? Der Begriff der „Wahlverwandtschaft“ ist der Chemie entlehnt, wo es das anziehende und abstoßende Verhalten von Naturelementen beschreibt: So zieht Sauerstoff gerne zwei Wasserstoffmoleküle an sich.
Wenn man vom gesellschaftlichen Hintergrund eines aus heutiger Sicht eher dekadenten Niederadels absieht, dann kann man dieses Werk in vollen Zügen goutieren.
8 CDs, ungekürzte Lesung mit Gert Westphal.