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Gewiss, man muss Walter Kempowski als Mensch, Vorleser und Autor mögen, will man diesem Hörbuch so wie ich fünf Sterne geben.
Und kein Zweifel, Walter Kempowskis Bemühungen um die Klärungen eigener Vergangenheit sind manchmal mühsam und lang.
Dieser erste Roman aus dem Jahre 1978 leitet Kempowskis neunbändige „Deutsche Chronik“ ein. Ich habe ihn als ungekürzte Lesung (13 CDs, 14 Stunden und 40 Minuten) des Autors erworben. Dieses einzigartige Panorama literarisch gestalteter Geschichte deutschen Bürgertums erzählt die Familiensaga der Kempowskis in Rostock von ihrem Anfang an. Das Hörbuch hat der Autor im Sommer 2001 in seinem Haus „Kreienhoop“ in Nartum selber mit seiner leisen, hohen und immer etwas melancholischen Stimme eingelesen.
Zugegeben, es braucht seine Zeit, bis man sich an diese Stimme und diese Erzählweise gewöhnt hat. Mit leichtem Singsang vermittelt er gelebte Geschichte, nuschelt immer wieder eine Pointe hinzu. Jaah, Humor hat er, der Kempowski: „Der Regent, Dirigent, das regent!“
Ruhig und schlicht, streckenweise etwas langatmig erzählt er die Geschichte dreier Generationen, angefangen mit Robert William Kempowski, dem Reeder, seiner Frau Anna und den Kindern Silbi und Karl – dem Vater Walter Kempowskis. Karl Kempowski steht im Mittelpunkt dieses Romans, seine Kindheit, sein Jugend, die er als sechszehnjähriger Freiwilliger im Ersten Weltkrieg an der Wetsfront verbrachte.
Walter Kemowski erzählt diese Geschichte aus den verschiedensten Blickwinkeln der beteiligten Personen: Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Angestellte, alle kommen hier zu Wort. Diese – heute würde man sagen 360 Grad – Rundumsicht ergibt eine differenzierte, selten die Familie Kempowski schonende, nichts beschönigende Collage „aus großer Zeit“. Immer anteilnehmend ist diese leise Stimme, einfühlsam, ein begnadeter Erzähler.
Ohne Menschen wie Walter Kempowski wäre vieles verloren gegangen. Wie ein Besessener hat er alles gesammelt – und verstanden, das Erhaltenswerte davon der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dafür hat er spät, aber nicht zu spät viele Würdigungen erfahren, die er lange Zeit so bitterlich vermisst hatte, als die schreibenden und großkopferten Kollegen, die selbsternannten Literaturpäpste diesen kleinen Mann aus Rostock, der stets mit sich und deutscher Geschichte rang, nicht ernst nahmen. Wieder gut machen will er mit all diesem Schreiben und Sammeln: „Ich habe die Familie zerstört, nun suche ich sie auf Papier wieder aufzubauen.“ Denn Kempowski wurde 1948 in Rostock verhaftet, weil er Unterlagen über die Demontageaktivitäten der Russen in der damaligen SBZ den Amerikaner übergeben hatte. 25 Jahre Arbeitslager für ihn und seinen Bruder, zehn für seine Mutter als Mitwisserin. Nach acht Jahren wurde er aus Bautzen entlassen und ging nach Hamburg.
Schuld und Trauer waren der Antrieb seines schriftstellerischen Tuns fortan – sein Versuch der „Wiedergutmachung“.
Am Ende der 13. CD will man dann nur eins: Die Fortsetzung „Schöne Aussichten“ hören.