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Walter Kempowski ist wohl DER deutsche Chronist des 20. Jahrhunderts. Viel, sehr viel hat er akribisch festgehalten, es der Nachwelt zu bewahren versucht. Erst in Form von Romanen, später dann auch als „Tagebücher“. Man sollte diese Leistung nicht klein achten, auch wenn Walter Kempowski wohl nicht den Olymp der großen deutschen Romanciers ersteigen konnte. Mancher hat ihm da auch wohl bewusst den Weg versperrt. Erst spät, sehr spät hat er Anerkennung gefunden.
Viele „Großschriftsteller“ haben es ihn merken lassen, dass sie ihn nicht zu ihresgleichen rechneten. Eingesessen hat er in Bautzen wegen Spionage für die Amerikaner. Dazu noch ein recht gediegende konservative Gesinnung. Kempowski hat sehr unter der Ächtung gelitten – und doch unermüdlich weiter recherchiert und weitergeschrieben. Arbeit kann befreien.
Manchen Büchern hat er dann sonderbare Namen gegeben „Alkor“, „Sirius“, „Echolot“, „Culpa“. Doch hinter dem Titel „Hamit“ verbirgt sich nichts mehr und nichts weniger das erzgebirgische Wort „Heimat“, verrät uns Kempowski. Und wenn ihn eines je quälend beschäftigt hat, so war es eben diese – lange verlorene – Heimat.
In diesem über 400 Jahre starken Tagebuch hält Walter Kempowski die Ereignisse im Jahre eins nach dem Mauerfall fest. Für ihn ist es die jetzt im Jahre 1990 mögliche Rückkehr in seine alte Heimat Rostock. Wehmut mischt sich Wut: Die Trauer über die Zerstörung und Enteignung seiner Familie ist ebenso groß wie der Zorn über die menschenverachtenden Politiker des DDR-Regimes. Kemnpowski schmollt und hadert einmal mehr mit der Welt.
In seiner Heimat ist er kaum bekannt – oder will man ihn nicht kennen? Seine Lesungen finden vor einer Handvoll von Interessierten statt. Da mag das Honorar noch so hoch sein, Kempowski ist dennoch enttäuscht. Nein, man will nichts von ihm wissen, auch im Osten nicht. Es scheint, als ob man im Osten überhaupt nichts von der Vergangenheit wissen will. Und das ihm, dem das Wissen um die Geschichte und um die Heimat doch höchstes Anliegen sind!
„Das Wiederauffrischen nachgedunkelter Bilder – das macht das Gehirn selbsttätig. Manches, was weg war, kehrt wieder und hellt sich auf, unbegreiflich, daß man es von sich gelassen hat. Anderes sinkt gottlob ab. Aber Vorsicht: das lauert tückisch auf den geeigneten Augenblick.“
Gleichzeitig öffnet sich in diesem Tagebuch immer auch wieder der Mensch Kempowski, mit all seinen Befindlichkeiten, Macken und teilweise befremdlichen Ansichten. Nein, leicht hat er es weder sich noch anderen gemacht, ihm Freund zu sein.
Deutschland jedoch kann Kempowski als Zeitzeugen dankbar sein für seine detaillierten Erinnerungen.