Rating:
Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, nach denen die Wortanzahl in den Sätzen deutscher Schriftsteller mit zunehmendem Alter stetig geringer wird.
Bei Walter Kempowski – und auch in diesem Buch – macht sich diese vermeintliche Tendenz auf eine andere Art bemerkbar. Der Leser hält etwa 150 Seiten in seinen Händen, die sich nicht in die gängigen Genres (Roman, Novelle, Kurzgeschichte, Tagebuch, Aphorismen usw.) einfügen wollen.
Etwa 100 kurze melancholische Episoden aus der Erinnerung des Sigmund – unverkennbar das Alter ego Walter Kempowskis – vermitteln dem Leser ein Bild einer längst untergegangenen (sic!) Welt.
Doch nur Leser fortgeschrittenen Lebensalters werden in der Lage sein, bestimmte Fragmente wiederzuerkennen und sich nostalgisch schauernd im Alkoven zu schubern, um sich hie und da eine Zähre verschämt aus dem Augenwinkeln zu wischen. Kempowskis unbestritten unvergleichliche Erzählkunst gleitet für manchen sicher zu häufig ab in selbstmitleidige Larmoyanz, so auch gerade in diesem Buch.
Allen anderen jüngeren Lesern wird sich dieses Büchlein ähnlich wenig erschließen wie der Besuch im Heimatmuseum, das Siegfried Lenz sinnbildlich abbrennen lässt, dessen verkohlten Reste ein Kempowski aber noch zu archivieren müssen glaubt.