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Vater-Sohn-Verhältnisse sorgen in der Regel für Spannung. Zumindest phasenweise. Literarisch ist das Thema vielfach verarbeitet worden, vom Titel her am einprägsamsten durch Turgenjews „Väter und Söhne“.
Irgendwann im Laufe seines Lebens will wohl jeder Sohn mit seinem Vater „abrechnen“, ein Fazit ziehen, wissen wo er sich von seinem Vater abgrenzt und wo er ihm nachfolgt.
Der Titel „Das Buch des Vaters“ ist im doppelten Sinne zu verstehen. Es ist ein Buch über den Vater einerseits und ein Buch des Vaters andererseits, ein Tagebuch nämlich, das dieser geführt hat, das jedoch verloren ging. Urs Widmer hat es nun nachgeschrieben und dieses Buch seinem Vater „gewidmet“.
Der Leser kann schlecht ermessen, wie viel gerade von diesem Roman (!) Fiktion und Realität ist. Gesichert ist, dass dieses Buch im Großen und Ganzen das Leben des Walter Widmer wiedergibt. Ein hochinteressantes Leben im übrigen. Manch erzählerisches Fragment ist jedoch mit Sicherheit der stets üppigen Phantasie eines Urs Widmer entsprungen.
Schon aus früheren Werken sind uns surrealistische Eskapaden vertraut. Und schon manches Mal meinte man, leichte Einflüsse eines Franz Kafka in Widmers Werken zu entdecken. So auch in diesem Buch die unheimlich anmutende Geschichte, dass jeder bereits zu seiner Geburt einen Sarg bekommt, der dann vor dem Haus mit denen der anderen Bewohner gestapelt wird. Ein interessante Idee der Vergänglichkeit des Lebens mahnend.
Durch dieses Buch wird nun endgültig klar, woher ein Urs Widmer sein großes erzählerisches (Widmer ist m.E. wie viele andere Schriftsteller kein Romancier) Talent hat. Mit diesem Buch hat sich Urs Widmer, dessen Verhältnis zu seinem Vater mit sicher alles andere als harmonisch gewesen dürfte, am Ende mit seinem Vater „ver-söhnt“. Doch auch ohne die biographischen Bezüge wäre dieses Buch lesenswert, ist es doch ein Stück Schweizer Zeitgeschichte aus unruhigen Zeiten.
Ein wunderschönes, kunterbuntes und aufregendes Buch über ein herrlich exaltiertes, leicht chaotisches und dennoch erfülltes Leben.