Schmidt/Steinbrück – „Zug um Zug“

Rating: ½☆☆☆☆ 

Sehr viel ist über dieses Buch und seine Inszenierung geschrieben worden (bei der das Schachbrett leider verkehrt herum aufgebaut war).

Peer Steinbrück fungiert bei diesen Gesprächen offenbar vor allem als Stichwortgeber für Helmut Schmidt – eine Rolle, die der Alt-Kanzler anderen nur allzu gerne zuweist. Beide „siezen“ sich mit Vornamen („Hamburger-Sie“). Manche Kommentatoren wollen jedoch darin dennoch ein ungleiches Verhältnis gespürt und in dem „Peer, Sie haben recht“ ein „Domestiken-Sie“ entdeckt haben („Gerda, putzen Sie bitte heute die Fenster?“). Dabei ist doch das „Du“ unter den Genossen der SPD seit mehr als einem Jahrhundert usus. Das will in der Tat nicht passen!

Der Kaffeekonsum ist enorm, ständig hört man (im Hörbuch, 3CDs, 213 Minuten Laufzeit) wie Kaffee in die Tasse plörrt. Der Zigarettenkonsum Helmut Schmidts steht dem nicht nach, immer wieder ratscht das Feuerzeug und surrt der Aschenbecher (Sie wissen schon, der mit dem Druckknopf und der Drehscheibe).

Auch die Arroganz eines Helmut Schmidt, der sich sichtlich in der Rolle des Nestors wohlfühlt, ist kaum zu überbieten. Er ist in einem Alter angekommen, wo man sich offenbar wie ein kleiner Junge diebisch freut, auch auf dem Capitol Hill geraucht zu haben, obwohl das allen anderen Menschen strikt verboten ist: „Die wussten wohl, mit wem sie es zu tun hatten.“ Gerade diese Woche ist er vom „Forum Rauchfrei“ angezeigt worden, weil er in Günter Jauchs Sendung einmal mehr öffentlich geraucht hatte. Den Alt-Kanzler wird es wenig scheren. Sein ganzer Habitus unterscheidet ihn nicht von den Gutsherren des vorigen Jahrhunderts – auch wenn er immerfort vom „Respekt gegenüber dem Souverän“, dem Volk also, spricht. Quod licet Jovi non licet bovi. Überhaupt diese ständige Besserwisserei Schmidts ist nervtötend.

Vermutlich müssen jetzt die Genossen herhalten, wenn Helmut Schmidt etwas zu erzählen hat, nachdem ihm seine Loki leider nicht mehr zuhören kann und manche Politiker in den USA inzwischen offenbar nicht mehr immer Zeit für ihn haben, wenn er zu Besuch kommt. Das alles erinnert doch all zu sehr an den Besuch einer alten Tante, die immer wieder gebetsmühlenhaft die gleichen Geschichten von damals erzählt – und alle darauf warten, dass sie bald wieder geht.

Dass die SPD sich inzwischen als Partei der Mitte zu etablieren versucht, ist dem geneigten Leser / Zuhörer sicher auch schon vorher aufgefallen. Da wird die inzwischen immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich (an der die SPD maßgeblichen Anteil hat) von Steinbrück als „Einkommensspreizung“ bezeichnet, ein erbärmliches Beispiel nicht nur sprachlicher Verkommenheit der Sozialdemokratie. Dazu passen die Tiraden beider Herren zum Thema übersteigerten „Anspruchsdenkens“ der Bürger. Das „Godesberger Programm“ lässt grüßen!

Inzwischen hat die SPD offenbar auch jenes Stadium überwunden, als sie sich noch ihres Namens (als programmatischen Ausdrucks) schämte. Nur, dass sich beide Herren im Glauben wähnen, die SPD können die nächste Wahl erfolgreich für sich entscheiden, darin möchten sie sich dennoch täuschen, auch wenn Helmut Schmidt sich nicht zu schade ist, sich coram publico über Peer Steinbrück als möglichen Kanzlerkandidaten lobend zu äußern. Das ist schlichtweg peinlich – wenn auch offenbar nicht Herrn Steinbrück – und vermutlich auch unehrlich, denn es gibt nicht viele Personen des politischen Lebens, an denen der Alt-Kanzler im Rückblick seiner Werke auch nur ein gutes Haar lässt. Doch den Kotau Steinbrücks vor seinem alter ego kann man mehrfach – sogar – hören. Natürlich würde Schmidt am liebsten noch einmal die Brücke entern, doch er weiß offenbar doch um seine Hinfälligkeit.

Das Ganze wirkt abgesehen vom „Product Placement“ Steinbrücks und einer weiteren eitlen Altersselbstinszenierung Helmut Schmidts ein wenig nach Nachsitzen für Erwachsene in Sachen Weltpolitik.

Wir erleben einmal mehr seine Selbstbeweihräucherung (sic!) als „Weltpolitiker“. „Was ist der Mensch für eine elende Kreatur, wenn er alle Eitelkeit abgelegt hat!“ schrieb einst schon Goethe. Einmal mehr stellen wir fest, dass sich die meisten Menschen vor dem Hintergrund von drei Milliarden Jahren Universum viel zu wichtig nehmen. Vanitas vanitatem!

Und einmal mehr gilt: Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist. So mancher deutsche Politiker hat den richtigen Moment des Abgangs von der öffentlichen Bühne verpasst und sich hernach nur noch zum Narren gemacht.

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