Walter Kempowski – „Hamit“

Rating: ★★★★☆ 

Walter Kempowski ist ein Autor, der überwiegend in der Vergangenheit lebt. Die Gründe dafür sind hinlänglich bekannt. Ganz oben steht der Verlust der Heimat. Einschneidend war auch der Tod des prägenden Vaters und die Schuld, Bruder und vor allem Mutter durch seinen „Spionagetätigkeit“ leichtsinning ins Zuchthaus gebracht zu haben.

Als die Grenze zwischen Ost und West fällt, kann Kempowski erstmals wieder in seine alte Heimat reisen. Er ist für einen Moment ausgesöhnt mit der Welt: „Vor allem befriedigt es mich, dass die Kommunisten, diese Pest, dahin sind.“ Doch auch hier macht er die bittere Erfahrung, dass man in der Vergangenheit letztlich nicht leben kann. Tempi passati –  Geschichte und Zeit sind nicht umkehrbar.

Kaum jemand nimmt „drüben“ Notiz von ihm. Schlimmer noch: „Wo ich mich zeige, liegt Mobbing in der Luft.“ Er wird nicht eingeladen, wenn es um die Geschichte der Stadt Rostock geht oder „Kulturtage“ anstehen. „Bei meiner Arbeit an den Rostock-Romanen habe ich nie an eine Art Anerkennung gedacht. Das war Selbstzweck. Nun aber verletzt mich das Ausbleiben von Applaus denn doch.“

Das Fehlen von Lob und Anerkennung durchzieht sein ganzes Leben wie ein roter Faden: „Gelobt werden möchte doch ein jeder.“ Das alles schmerzt ihn. „Wie gehässig man mich behandelt hat. Ich bin doch ein ganz umgänglicher Mensch.“ Einen Moment denkt er gar darüber nach, vom 8. Stock des „Warnow-Hotels“ herunterzuspringen, um auf diese Weise Anerkennung zu erzwingen: „Ich möchte doch so gerne dazugehören.“

Kempowskis Vertrauen in die Zukunft ist auch eher fragil. Schon zwanzig Jahre vor seinem Tod stellt er sich ständig die Frage, ob seine Kräfte und seine Lebenszeit noch ausreichen werden, sein Werk zu vollenden.

„Tagebücher sind meine Leidenschaft, das muß ich sagen.“

„Hamit“ steht als erzgebirgische Variante für das deutsche Wort „Heimat“ – aus der Kempowski – zumindest aus seiner Sicht – vertrieben wurde. Doch „Was wäre aus mir ohne die sogenannten Schicksalsschläge geworden.“ Heimat ist ein konservativer Begriff: „Hören Sie mal, Sie sind aber konservativ … Ja, ich betätige mich gelegentlich als Bremser.“

Eigentlich wollte Kempowski immer auch noch eine Autobiographie schreiben. Ebenso wie er in seinen autobiographisch gefärbten Romanen nicht die ganze Wahrheit und Wirklichkeit abgebildet hat, sind auch die Tagebücher offenbar schon in Hinsicht auf eine spätere Veröffentlichung leicht geglättet geschrieben worden. „Das da, was auf dem Tisch liegt, ist das eine, was hinter mir liegt und was ich in mir verwahrt habe, ist das andere.“ In der Autobiographie wollte er durchblicken lassen, wer oder was er wirklich war.

Er, der oft Unnahbare, Schwierige ist auf der ständigen Suche nach menschlicher Nähe: “ … es muss doch möglich sein, in diese Menschenseelen einzudringen, ihnen näher zu kommen, Kontakt herzustellen?“ Doch er weiß selber nur zu genau:Die einzige Begegnung, die zwischen Leser und Autor möglich ist, ereignet sich beim Lesen.“

Doch wie soll er so je erfahren, was seine Leser beim Lesen seiner Bücher empfinden? Eine Möglichkeit nutzt er viele Jahre lang: Er lädt seine Leser in sein Haus „Kreienhoop“ zu Lesungen und Seminaren ein. Man darf auch so einfach kommen. Eine andere: „Wenn ich beim Signieren bemerke, daß einer in meinem Buch was unterstichen hat, dann versuche ich, ihm das Buch abzuschnacken. Das sind doch alles Antworten auf meine in die Welt geschickten Briefe.“

Nach einem Wort von André Gide ist jeder Schriftsteller auf der Suche nach seiner Kindheit. Und insofern ist Literatur immer auch Vertriebenen-Literatur; denn sind wir  Erwachsenen nicht alle vertrieben aus dem Reich der Kindheit? „Fehlte noch, daß mir jemand übers Haar striche.“

„Heimat können wir abhaken. Geblieben ist das Heimweh.“

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