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In Kürze jährt sich der Beginn des 1. Weltkrieges zum 100. Male. Eine Reihe von Neuerscheinungen bereitet auf dieses Ereignis vor.
Förian Illies will mit seinem Buch keine historische Analyse unternehmen. Er will nicht vollständig sein. Er interpretiert oder erklärt auch nicht – wir erleben statt dessen etwas, das man eine „synoptische Geschichtsschreibung“ nennen könnte.
„1913“ ist ein zeitgeistiges Buch, kein politisches. Illies stellt dabei Zusammenhänge her, die meistens keine sind – seine Materialsammlung ist ausgesprochen subjektiv. In kurzen Abschnitten von großer Dichte vollzieht er Momentaufnahmen im Jahresverlauf. Illies zelebriert Feuilleton, das Arrangement ist phantastisch, der Unterhaltungswert groß.
Er gewährt uns Hunderte von intimen Einblicken in das Leben der Größen dieser Zeit – ohne dass der Leser allerdings wirklich etwas lernen oder verstehen würde. So schreibt er: „Rilke hat immer noch Schnupfen„, während Franz Kafka sich nicht entscheiden kann, ob er seine Felice Bauer in Berlin besuchen soll. Wir erfahren, Alma Mahler sich, fern von ihrem Geliebten Oskar Kokoschka, in Franzensbad aufhielt und gerade anfing, mit Walter Gropius anzubandeln.
Else Lasker-Schüler verliebt sich in Gottfried Benn verliebt, und Josef Dschugaschwili, der sich Stalin nennt, schreibt in diesem Januar in der Schönbrunner Schloßstraße in Wien an einem Aufsatz über den Marxismus und die nationale Frage. Thomas Mann leidet unter einem Verriss von Alfred Kerr und schreibt an einer Novelle, die den Arbeitstitel „Der verzauberte Berg“ trägt.
Das Buch spielt hauptsächlich in Wien, in München, Prag und Berlin. Der Krieg, vor dem sich bereits viele fürchteten, würde bestimmt nicht kommen. Keiner hätte etwas davon, und die europäische Wirtschaf sei so voneinander abhängig, dass ein Krieg widersinnig sei. Doch man vergaß dabei, dass zwar auch die Monarchen miteinander verwandt und voneinander durch Heirat und Verwandtschaft abhängig waren, hat sie jedoch selten daran gehindert hatte, ihre Völker aufeinanderzuhetzen.
Florian Illies hat ein Buch über das Jahr 1913 geschrieben, als die Menschen in Mittel- und Westeuropa auf 42 Jahre Friedensjahre zurückblicken konnten. Doch die Situation ist trügerisch. Illies malt uns mit seinem Buch auch ein Bild von unserer Gegenwart; er legt den Grundriss der Welt vor hundert Jahren über die Baupläne unserer heutigen Welt.
Unterschiede werden sichtbar, aber auch Gemeinsamkeiten. Es geht ihm offensichtlich um unsere Zukunftsaussichten, deren Furchtbarkeit man sich vor 100 Jahren auch niemand vorstellen konnte. Der Frieden ist trügerisch,
Florian Illies wirft einen Blick auf eine bürgerliche Epoche, in der ein Mensch in den Zug von Wien nach München steigt, sich ein Zimmer in der Schleißheimerstraße nimmt, tagsüber Sehenswürdigkeiten aquarelliert und nachts liest. Es ist Adolf Hitler.
Florian schreibt einen gutgelaunten Stil. Das Werk bekommt dadurch eine ungeheure Leichtigkeit. Wir erleben lauter (Schön-) Geister, die sorglos oder sorgenvoll einzig mit sich selbst beschäftigt sind. Illies erzählt von der Freude, Traurigkeit, Langeweile und dem Gefühl, dass womöglich alles sinnlos sei. Neurasthenie nannte man damals das, was man heute „Burn-out“ nennt.
Doch alles kann über Nacht zugrunde gehen, kein Friede ist sicher vor einem Krieg. Vielleicht ist das bei aller Leichtigkeit seine Botschaft?