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Hermann Hesses Bücher sind immer höchst persönliche Introspektionen.
Auch wenn jedes Kunstwerk immer Ausdruck der Person des Autors ist, so hat kaum je ein Autor in seinen Werken so offenherzig seinen Umgang mit der persönlichen Erlebenswelt beschrieben wie er.
Und wenn Hesse in dieser Erzählung über den Maler Klingsor schreibt, so ist dies unverkennbar Hesse selber – für ihn, der selber viel gemalt hat, war es ein Leichtes, seine Person in die des lebenskriselnden Malers zu transponieren.
Klingsor trägt in geradezu exemplarischer Weise die typischen narzisstischen Züge Hesses:
„Ich weiss nicht, ob ich überhaupt lieben kann. Ich kann begehren und kann mich in andern Menschen suchen, nach Echo aushorchen, nach einem Spiegel verlangen, kann Lust suchen, und alles das kann wie Liebe aussehen.“
Klingsor wie Hesse sind im Jahre 1877 geboren. Die Erzählung handelt von Klingsors letzten Monaten, als dieser die Angst vor dem beschlossenen und schon mehrfach hinausgeschobenen (Frei-) Tod zu kontrollieren versucht – der Suizid durchzieht das Leben des manisch-depressiven Hesse wie ein roter Faden – er sollte jedoch 85 Jahre alt werden und eines natürlichen Todes sterben.
Das Jahr der Entstehung dieser Erzählung ist 1919 und ist in der Tat in vielfältiger Weise ein Einschnitt in Hesses Leben: Seine erste Frau befand sich – und daran trägt er, der sie und ihre gemeinsamen drei Kinder verlassen hatte, keine geringe Schuld – in einer Nervenheilanstalt; im Frühjahr wurde er selber aus der Kriegsgefangenenfürsorge entlassen. Im Juli lernte er die junge Sängerin (in der Erzählung „die Königin der Gebirge“) und Malerin Ruth Wenger kennen, die er 1924 heiraten sollte.
Die Tage des Sommers 1919 verbringen Klingsor wie Hesse in rauschhafter Hingabe an ihre Kunst. Klingsor/Hesse schwanken zwischen romantischer Schwermut und expressionistischem Aufbegehren. Die Nächte verbringen sie in sog. „Grotti“ bei Wein oder in den Armen schöner Frauen. Alles ist Rausch, Ekstase – wie so oft in Hesses Werken. Das in Karengo beschriebene Gelage mit Brot und Wein erinnert gar – und gewiss prätentiös aber nicht zufällig – an das „Letzte Abendmahl“.
Mit dieser im Juli und August des Jahres 1919 niedergeschriebenen Erzählung setzt sich Hesse – einmal mehr – ein selbstverliebtes Denkmal: Klingsor malt ein Selbstbildnis – sein letztes Werk, das alles Bisherige, ja, die bisherige Malkunst an sich in den Schatten stellen soll, die höchste Vollendung. Danach kann nur noch der Tod kommen, der melodramatisch bereits auf der ersten Seite der Erzählung für den Spätherbst angedeutet wird.
Nicht unerwartet ist auch diese Erzählung von großer inhaltlicher wie sprachlicher (ja, Hesse kann schreiben) Exaltiertheit – deren hoher Ton einen eher nüchternen Leser erheblich überfordern oder gar enervieren kann. Eigentlich wartet man nur auf die Einweisung in die Nervenheilanstalt des ständig durch Drogen und Alkohol überdrehten Autors bzw. seines Protagonisten.
Hesse selber wird anders als Klingsor viele Jahre weiterleben und noch viele Bücher schreiben. Im Jahre 1946 erhält er gar den Literaturnobelpreis, besonders für sein von der Literaturkritik geschmähtes Spätwerk „Das Glasperlenspiel“, das gemeinhin als ein dünnes, blutleeres, unsinnliches Werk gilt, als – wie es Joachim Kaiser in einer Kritik nannte – „Science Fiction der Innerlichkeit“.
Marcel Reich-Ranicki schreibt in seinen Memoiren über Hesse:
„Die etwas penetrante Mischung aus deutschromantischer Tradition und weltfremder Innerlichkeit, aus sanfter Sentimentalität und wütender Zivilisationsverachtung schien mir nicht mehr erträglich.“
Das ist es wohl, was man an Hesse so unerträglich finden kann: Die ständige Flucht vor den Realitäten. Er ist ein nichts als ein egomanischer, exzentrischer Autor, der seinen Leser nichts anderes als Eskapismus in Form von Drogen oder Freitod zu bieten hat, und verdient nicht die literarische Beachtung, er zumindest phasenweise (wir denken hier besonders an den „Steppenwolf“, den die „Flower-Power-Bewegung“ der 1970er Jahre so heiß und innig geliebt hat) erhalten hat.
Cees Nooteboom schreibt so passend: „Heute kann ich nicht mehr lesen, was ich gestern gelesen habe. Der Siebzigjährige liest andere Gedichte als der Siebzehnjährige.“ – „Bei manchen Büchern ist es besser, wenn man schon ein bißchen gelebt hat“
Und wir müssen uns Hermann Hesse wohl als einen wenig lebenstauglichen Autor vorstellen.