Kriminalromane

Mit großer Erleichterung haben wir den Beitrag „Hängt ihn einfach niedriger“ von Joachim Käppner über der desolaten Zustand des Kriminalromans in der SZ vom 7./8. Januar 2011 zur Kenntnis genommen!

In der Tat war der „Krimi“ noch nie so erfolgreich wie heute – gleichzeitig war er aber auch noch nie so bodenlos schlecht. „Nie zuvor im Kriminalroman gab es so viele absurde Serienkiller, so lächerliche Figuren und so peinliche Plots wie derzeit.“

Viel Kritik habe ich auf meinen Verriss des Kriminalromans von Stieg Larsson „Die Verblendung“ am 19. Dezember 2007 bei amazon erhalten – nicht nur von sog. Kommentatoren, sondern auch im Freundeskreis. Da wackeln sogar Freundschaften, weil ich polemischer Weise einigen alternden Herren voyeuristisches Interesse an pädophilen Machenschaften unterstellt habe.

Ein guter Kriminalroman hat immer ein Geheimnis. Im wirklichen Leben erklären sich Morde meist von selbst. Meist handelt es sich um  Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge. Selbst wenn die juristischen Mordmerkmale von „Vorsatz“, „Heimtücke“, „niedere Beweggründe“erfüllt sind, ist er überaus banales Mittel zu einem banalen Zweck – an sich nichts, was sich für einen literarischen Ansatz eignet.

Literarisch interessanter sind da Serienmorde, von denen der Täter ja nichts Erkennbares hat. Exzesse stehen für sich. Sie sind zunächst unverständlich. Agiert der Mörder unter Zwang? Die meisten Serienmörder kommen aus unglücklichen Familien wie Millionen von Nichtmördern auch. Dem Leser gruselt’s.

Wetten, dass … der Kick auch im Kriminalroman stets höher sein muss? Ein  Toter reicht schon lange nicht mehr als Basis für einen Krimi, es muss schon ein manischer Massenmörder, am liebsten aus guter Gesellschaft sein, der zudem noch jede Folterkammer des Mittelalters als läppischen Kinderkram aussehen lässt.

Ohne Obzession, Perversion und Sadismus geht scheinbar nichts mehr. Dass die Handlung dabei meist weder konsistent noch stringent ist, weder Hand noch Fuß hat, spielt anscheinend ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass die Romane immer länger und langatmiger werden. Hanebüchener Unsinn, aber Hauptsache, der Leser gruselt sich in der belletristischen Geisterbahn: „Was diesen Büchern an Sinn und Verstand fehlt, versuchen sie durch wachsende Brutalität wettzumachen.“

Wagen wir einmal eine provokante These: Wer etwas auf sich hält, der liest. Wessen intellektuelles Stehvermögen zu gering für Literatur ist, der liest Krimis. Dass er bzw. sein Geist dabei wahrscheinlich noch weiter auf den Hund kommt, nimmt der Krimileser offenbar billigend in Kauf.

Gleichwohl gibt es vom Beginn des Formats „Krimi“ und bis heute Autoren, die es mit ihren Kriminalromanen in die Literaturgeschichte geschafft haben: Conan Doyle, Agatha Christie, Raymond Chandler, Friedrich Dürrenmatt, Georges Simenon – für deren Romane ich hier an vielen Stellen eine Lanze gebrochen habe. Denn er ist ein Virtuose in der Darstellung der Selbstentfremdung.

Besonders freue ich mich darüber, dass auch Käppner die Romane von Sjöwall/Wahlöö von vor 40 Jahren rezeptionsästhetisch richtig als linke Gesellschaftkritik am schwedischen Wohlfahrtsstaat einordnet und die heutigen „Remakes“ à la Mankell und den Rest der schwedischen Autorenbande mit ihrer „mystisch verblasenen Pseudo-Gesellschaftskritik“ für lächerlich bzw. obsolet erklärt. „Es gibt keine Botschaft, keinen höheren Sinn , meist auch keine Spannung mehr.“

Doch bei aller Selbstzufriedenheit über diese Erkenntnis bleibt der besorgte Blick nicht nur auf den geistigen Zustand der Nation. Die Sucht nach Nachschub, so geistlos dieser auch sein mag, sei groß, schreibt Käppner. Wie wahr, Krimis sind die letzte tragende Säule des deutschen Buchhandels.

Käppner schreibt als Fazit: „Heute opfern die Erzähler die Logik mitsamt der Realität.“ Und das, lieber Leser, entspricht insgesamt ganz offensichtlich dem Zeitgeist!