Rating:
Die Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ (Originaltitel: „The Canterville Ghost“) erschien im Jahr 1887 – und war das erste erzählerische Werk des Schriftstellers (1854 – 1900).
Als Mr. Hiram B. Otis, der amerikanische Gesandte, Schloss Canterville kauft, sagt man ihm, dass es in dem Schloss spuke. Als aufgeklärter Amerikaner nimmt er dies schulterzuckend zur Kenntnis, denn hier trifft die Kultur der „Neuen Welt“ auf die alte. Und Gespenster passen für die pragmatischen Amerikaner einfach nicht mehr in die Zeit: Der amerikanische Botschafter samt Frau und vier Kindern halten nichts von englischer Gespenstertradition.
Die Satire („Tatsächlich haben wir heutzutage mit den Amerikanern alles gemeinsam, ausgenommen die Sprache natürlich“) persifliert den 19. Jahrhundert in England vorherrschende romantischen Glaube an das Übernatürliche, bei der die Engländer der „Alten Welt“ eine parodistisch überzogene Angst vor Gespenstern an den Tag legen – und produziert mittels der Bewohner der „Neuen Welt“ den paradoxen Effekt, dass nicht diese Angst vor dem Gespenst haben, sondern jenes vor ihnen!
Seit seinem Hungertod im Jahre 1575 hat Sir Simon de Canterville mit seiner Spukerei noch alle bisherigen Bewohner in die Flucht geschlagen. Doch was auch immer das Gespenst nun versucht, keiner in der Otis-Familie nimmt es ernst. Im Gegenteil, die Zwillinge versuchen ständig, ihn reinzulegen und zu ärgern: Gespannte Stolperfäden, rutschige Butterfallen, erschreckende Gespensterattrappen, Wasserkrüge auf Türoberkanten usw.
Und als Mr. Otis ihm empfiehlt ein Spezialöl gegen seine quietschenden Ketten zu nutzen anstatt sich ordnungsgemäß vor diesem Geräusch zu gruseln, verzweifelt das Gespenst ganz. Nur die kleine Virginia hat Mitleid. Sie ist es auch, die ihm dann hilft, seinen endgültigen Frieden gemäß den Sinnspruch des Schlosses zu finden:
„Wenn’s ein güldne Maid vollbringt,
Sündenmund zum Beten zwingt,
Wenn die tote Mandel sprießt,
Kindes Mitleidsträne fließt:
Endlich wird’s im Haus dann still,
Friede wohnt in Canterville.“